- Der war aber ganz schön viel Arbeit.
- Ja, das ist genau das Problem.
- Wieso das Problem, er wird den Jungs schon schmecken, stell Dich mal nicht so an.
Ich versuche, der Schwiegermutter zu erklären, dass ich es nicht ertragen kann, dass sie an Heiligabend mit einem Braten ankommt, ohne mir vorher Bescheid zu geben. Aber sie sieht nicht ein, dass jemand etwas gegen einen Braten haben kann. Ich steigere mich da viel zu sehr rein, wie mein Mann sagt. Da stehe ich, wutentbrannt, in der Küche, mit einem Schneebesen fuchtelnd, ich, die Sanftmütige. Ich schmeiße den Schneebesen in die Ecke, wo die Kaffeemaschine steht, meine Tochter rennt weg und schlägt die Tür zu, meine Söhne stehen wie angewurzelt da und starren mich an.
- Das ist aber ein guter Burgunderbraten. Der muss unbedingt heute gegessen werden, oder wir müssen ihn einfrieren.
- Das ist mir egal, was für ein Braten das ist. Hier wird nichts eingefroren, und schon mal gar nicht ein Tier.
- Aber es ist doch Heiligabend, und die Männer lieben Braten.
Ich beende schweigend die Zubereitung der Béchamelsoße, verteile wütend die Lasagneplatten und die Gemüsesoße in die Auflaufform. Werfe den Käse drüber und ziehe den Braten, der vor sich hin köchelt, wieder vom Herd. Mein Sohn kann sein Lachen fast nicht zurückhalten, aber ich habe Wuttränen in den Augen. Ich wische die weiße Soße von der Kaffeemaschine, stelle den Backofen an, mein Sohn reißt noch eine zusätzliche Tüte geriebenen Käse auf und verteilt ihn über die Lasagne.
- Es ist doch alles gut, es ist Weihnachten, wir wollen uns jetzt nicht streiten.
- Du bist total konfliktscheu, da solltest Du mal etwas dran tun, keiner traut sich, Dir etwas zu sagen, weil Du immer nur tust, als würdest Du es nicht verstehen. Nie wirst Du wütend, nie sagst Du klar, was Du willst, Du gehst jede Diskussion aus dem Weg und tust immer so, als wäre alles gut, dabei ist es gar nicht gut.
Ich weiß, dass man Wörter wie immer und nie vermeiden soll, dass man sachlich erklären soll, was einem nicht passt, dass man Sätze bilden soll wie ich fühle mich verletzt, wenn du hier den schwer erarbeiteten Essensplan durcheinanderbringst, aber gerade kann ich nur immer sagen, und nie, und du.
Als ich sie in Essen abgeholt habe und sie den Braten in den Kofferraum schmuggelte, so als hätten wir einen Weltkrieg, habe ich das Thema nicht angesprochen, weil ich mir vorgenommen hatte, freundlich und großzügig zu sein. Immerhin ist sie bald 87 und fast erblindet.
Diese Saftpresse ist toll, so die Verkäuferin. Nur ein sanfter Druck genüge, um köstlichen Saft zu erhalten, so könne man ganz leicht jeden Morgen eine Apfelsine pressen. Wir probieren beim Weihnachtsfrühstück die Presse aus, der Saft spritzt nach allen Seiten, die Schale der Apfelsine wird zerdrückt, es kommen nur einige Tropfen aus dem Ausfluss, der Rest verteilt sich auf den Tisch. Man braucht die Kraft einer Bauarbeiterin, um die Apfelsine zu quetschen, mit bloßen Händen geht es einfacher. Ich nehme mir vor, das Produkt wieder in den Laden zurückzubringen.
Hier sind noch Pralinen, so die älteste Besucherin unterm Weihnachtsbaum. Die habe ich geschenkt bekommen, aber ich kann sie ja nicht alleine essen. Ich beiße hinein, und eine scharfe Flüssigkeit rinnt mir übers Kinn und aufs Kleid. Ich bekomme einen Hustenanfall, Weinbrandbohnen, steht auf der Packung. Ich wünsche mir blaue Bohnen.
Ich gehe in mein Zimmer und rufe Agathe an. Frohe Weihnachten, meine Freundin. Sie lacht. Nicht einfach, oder?
Der Baum ist mickrig dieses Jahr, er steht schief, die Gans lebt noch. Die Hibiskusblüten sind zu groß für die Champagnergläser, ich quetsche sie mit der Hand hinein. Nicht wirklich Corona-safe. Es sind Tage des kleinsten gemeinsamen Nenners.
Entlang des Waldwegs wurden überall kleine Bühnenbilder aufgebaut. Je dunkler die Jahreszeit, umso kreativer werden die Menschen. Es leuchten Teelichter im Moos, es hängen Engel in den Bäumen, es stehen Schafe und Kamele auf den Felsen. In die Höhlen zwischen den Steinen sind Mini-Weihnachtskrippen drapiert, ich sehe einen Vogel Strauß auf einer Lichtung zwischen zwei Birken, und einen Löwen. Dieses Weihnachten ist alles anders.
Die Kraft, mit der ein Strauß bei einer Attacke auf sein Gegenüber eintritt, ist dreimal so stark wie die Kraft des Boxenhiebs eines Profisportlers. Der Vogel kann nicht fliegen, dafür eine Geschwindigkeit von 70 km/h erreichen. Bestellen Sie jetzt Ihr gesundes Straußenfleisch in unserem Online-Shop! Empfiehlt die Website, als ich im Internet nach entsprechenden Daten suche. Größe, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Killerinstinkt?
Ein Polygam lebender Allesfresser, der bis zu 150 Kilo wiegt und äußerst gefährlich ist, weil er sich so unvorhersehbar verhält.
Ich decke mal wieder den Tisch, die drei Kinder sind dabei, den Nachtisch zuzubereiten, es gibt in der Küche keine freie Stelle mehr. Die Schwiegermutter kommt gerade die Treppe herunter, sie hat ihren Mittagsschlaf beendet. Sie sieht gut aus, trägt ein tolles Kleid, sie strahlt übers ganze Gesicht. Eine neue Regenfront hüllt das Haus ein, aus dem Radio ertönt Weihnachtsmusik.
Ich denke an den Strauß in mir.
Hey Katelijne, eine sehr nette Geschichte die ich mir bildlich in euerer Küche gut vorstellen kann , inclusive der handelnden Personen, nur die Schwiegermutter kennt man ja noch nicht.
Trotzdem liebe Grüße an Alle und ich weiß ja das Du dich ja auch rührend um Sie gekümmert hast, was auch zu lesen war.
Ein gutes neues Jahr und bleibt gesund wüschen Christel und Schorsch