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Nicht zum Coolsein

Nicht zum Coolsein

Der Hund ist weg, mit diesem Ausruf kommt die Nachbarin um die Ecke. Ich bin gerade dabei, mit dem Gartenschlauch die Rosen zu gießen. Sie trägt einen Plastikbeutel in der Hand, mit einer hellbraunen Flüssigkeit gefüllt, der ein Loch hat, so dass die Flüssigkeit herausrinnt. Ich zeige auf die Sauerei. Fleischbrühe, klärt sie mich auf. Damit der Helmut den Weg wieder nach Hause findet. Sie steigt aufs Fahrrad, legt den Beutel in den Korb und fährt langsam weg, eine feuchte Spur hinter sich herziehend. Ich richte den Gartenschlauch darauf und warte, bis sie nicht mehr zu sehen ist. Helmut kann mich mal.

Good afternoon, madam, sagt der durchtrainierte Türsteher in der kleinen niederländischen Stadt. Please wait a second over there until you can join the queue.

Das mit dem Schlangestehen ist nicht nötig, erkläre ich ihm auf Niederländisch, ich wollte nur schauen, ob ich hier Kuchen kaufen kann, aber wie ich sehe, gibt es drüben in der Theke nur die Rohstoffe. Der Türsteher sieht mich an, sagt, ich soll kurz warten, er muss gerade noch einen Ausweis kontrollieren – wait for your turn please, there, you’re welcome.

Leider, Kuchen können sie hier nicht anbieten, von wegen Kühlkette. Nur halt das Gras in zwölf Variationen. Aber schwierig ist es nicht, das Gewünschte selbst zu backen, ich solle auf Youtube schauen, wie es geht. Wir unterhalten uns noch ein wenig über die verschiedenen Qualitäten, dann begleitet er mich zur Theke und fragt die Kollegin, welches Kraut sie für ihre Plätzchen verwendet. Den Verschnitt, sagt sie, und zeigt auf einen Behälter mit kleinen und größeren Pflanzenresten. Ist nur nicht ganz klar, da kann ja alles mit drin sein, sagt sie schulterzuckend. Der Türsteher nickt einvernehmlich. Stimmt, sagt er, aber für eine Anfängerin eigentlich das Richtige, nur nicht zu viel davon verwenden. Oder – er sieht mich eindringlich an, als läse er meine tiefsten Wünsche – wollen Sie einen richtigen Hammer? Ich verneine, den Hammer bräuchte ich nicht, jedenfalls nicht gerade jetzt, hier. Die Verkäuferin schaut träge durch mich hindurch und lächelt ein bisschen.

Ich kaufe ein Tütchen Verschnitt.

Mit der Warnung, stets gut auf die Dosierung zu achten und auf keinen Fall zwei Stück Kuchen nacheinander zu essen, verabschiedet sich der Türsteher von mir und ich verlasse das Geschäft.

Einen leichten Kuchen möchte ich backen, denn mein Freund Kasper hat Geburtstag. Da ich seine Feier verpassen werde, lade ich ihn ein, später zu mir in die Eifel kommen, denn er schläft schlecht. Das ist die Stadtluft, denke ich, er soll mal in die Eifel kommen, dort ist die Luft rein.

Nur die Hälfte oder ein Viertel der empfohlenen Dosierung Gras werde ich verwenden, gerade genug, um gute Laune einzufangen und selig einzuschlafen. Ich werde mir ein paar Rezepte anschauen und dann entscheiden, wahrscheinlich Schokokuchen.

Ich rieche den Kaffee, wie er aufkocht, gehe ins Haus und nehme ihn vom Herd. Ich schenke mir eine Tasse ein, eine schiefe Tasse, an einer Seite ist sie voll, an der anderen nicht. Meine Tochter hat sie mir vor einigen Jahren zum Geburtstag getöpfert. Es ist meine Lieblingstasse.

Mit der schiefen Tasse sitze ich auf den alten Steinstufen im Garten und lese in einem Buch Rezepte für Schokokuchen. Sie gefallen mir nicht. Ich sehe ein bisschen in die Ferne und stelle fest, ich habe gar keine Lust, in der Küche zu stehen und Kuchen zu backen bei dem Wetter.

Am nächsten Tag fahre ich mit meinem Jüngsten nach Köln, seine Schwester zieht um und er will helfen. Er hat gerade erst seinen Führerschein gemacht, aber da er noch keine 18 ist, geht nur begleitetes Fahren. Es ist Sonntagmorgen, sommerlich warm, die Stadt ist freundlich. Er hat die Fenster offen, mit lauter Techno-Musik, wir fahren am Rhein entlang zur Wohnung meiner Tochter. Ich überlege, doch noch kurz zu Kasper zu fahren, um ihm zu gratulieren.

Plötzlich sehe ich eine Polizeikontrolle. Techno-Musik, junger Fahrer, Drogen in der Handtasche der Begleiterin. Was sind das für Poser? Wo wollen die hin?

Schnell drehe ich die Musik runter, richte mich gerade und seriös im Beifahrersitz auf, Sonnenbrille runter, strenge Lehrerinnenbrille auf. Ich weiß, vorbildlich ist das nicht. Ich nicke freundlich den Polizistinnen zu. Wir werden zum Glück durchgewunken, obwohl ich aus dem Augenwinkel gesehen habe, wie der Polizeihund heftig an der Leine zog, weil er im Vorbeifahren irgendetwas gerochen haben mochte. Der Helmut macht ein Praktikum bei der Polizei, sagt mein Sohn. Die Eifeler Fleischbrühe klebt bestimmt noch an den Autoreifen.

Ich antworte nicht, weiß, dass ich vorsichtiger sein muss und ärgere mich, dass ich das Gras nicht sofort nach dem Kauf in meinem Zimmer versteckt habe. Ich darf mich nicht erwischen lassen. Wie sieht das denn aus, wir wollen die Rollen nicht umkehren, ich bin immer noch die Mutter. Außerdem sind wir hier zum Arbeiten hingefahren, als Umzugshelfer, nicht zum Coolsein.

Ich vergesse schnell den Geburtstag und das Geschenk und konzentriere mich auf die Arbeit.

Einige Tage später backe ich dann doch keinen Kuchen, Kasper isst nicht gerne Süßes und ich habe keine Lust auf Chaos in der Küche. Das Gras kommt eine halbe Stunde in den Backofen, um die richtigen Stoffe freizusetzen, dann mische ich es mit Butter. Sobald mein Besuch da ist, bringe ich es mit einem Baguette auf die Terrasse. Zusammen mit den Tapas. Und einer Flasche Wasser mit Zitrone. Rotwein ist etwas für Anfänger.

Dort sitzen wir in der Abendsonne, Kasper und ich, essen Baguette mit Kräuterbutter. Ziemlich schnell merke ich Wahrnehmungsstörungen, weiche Linien, eine komische Form des Vergessens. Eine unfassbare Tiefe. Es irritiert mich. Ich weiß, was passiert, und ich mag es nicht. Die Sonne rast durch den Himmel. Die Vögel sind laut. Helmut kommt vorbeigetrabt, die Nase an der Spur Brühe, die vor meinem Haus aufhört. Er steht verwirrt vor der Hecke und schnüffelt hektisch an den Büschen. Aha! Er hat wohl die Polizeihund-Ausbildung nicht abgeschlossen und ist nun doch zurückgekommen. Die ganze Strecke aus Köln in die Eifel, immer der Autospur entlang. Was für ein doofer Hund. Das ist doch nicht der Helmut, sagt Kasper. Das ist ein ganz anderer, schau, wie er sich bewegt, haha.

Die Tapas sind noch lange nicht gegessen. Kasper behauptet, er merke gar nichts, isst den Rest vom Baguette und meint, er würde gleich nach Hause fahren, er muss morgen arbeiten. Ich kann schlecht einschätzen, wie spät es ist, es ist noch hell. Ob er sich wirklich sicher ist? Er hat eine Stunde Fahrt vor sich.

Wir warten noch eine Weile, ich habe das Gefühl, dass weitere Menschen um uns sind, die alle etwas von mir wollen. Kasper lacht. Wir spazieren die Straße hoch und wieder runter, treffen keine Nachbarn, nur zwei weitere Hunde mit der Nase an der Brühe.

Ich überlege, was passiert ist. Ich habe eine einen Blend gekauft, diverse Grassorten durcheinander, die jeweils eine andere Wirkung haben. Das Kraut für Entspannung. Das für verrückte Bilder oder für erotische Gefühle. Im Rausch merke ich, wie die verschiedenen Varianten nacheinander durchkommen. Verwirrende Bilder gehen mir durch den Kopf. Manchmal ist Kasper da, manchmal nicht. Meistens nicht, meistens geht es nur um mich. Ich vergesse, dass ich ihn eingeladen habe. Er verabschiedet sich, umarmt mich länger als sonst. Eine Umarmung, die Stunden dauert. Ich überlege, ob er mir etwas vorspielt. Sollen wir ins Bett? Die Sonne färbt den Abendhimmel orange, eine Spur zu grell. Dann steigt er ins Auto und fährt. Die Hunde bellen.

Mit Mühe spüle ich die Teller, räume die Küche auf, die nun doch ins Chaos gerutscht ist. Jetzt wirkt gerade eine Sorte, die anregt, aha, ich weiß genau, was los ist. Dann bin ich plötzlich müde und lege mich ins Bett. Ich habe das Gefühl, dass ich dort nicht allein bin. Ich schlafe ein, schrecke nach einer Weile hoch, was, wenn Kasper einen Unfall baut?

Wenn gleich die Klingel geht, die Kripo dasteht und mir mitteilt, es hätte einen tödlichen Unfall gegeben? Sie hätten die Spur zurückverfolgt bis vor meiner Haustür? Diese Spur konnte ich nicht wegwaschen. Ich würde wackelig auf den Beinen vor ihnen stehen und wissen, es wäre meine Verantwortung. Ich würde überlegen, wie ich gestehen sollte, würde die richtigen Sätze umständlich im Kopf zusammenstellen, sie aber nicht aussprechen können. Die Damen und Herren der Kripo würden plötzlich alles verstehen, die Spusi würde meine Küche schon wieder auf den Kopf stellen, die Grasreste im Ofen finden, die Geschichte entschlüsseln. Halt! Grasreste gibt es nicht, sage ich triumphierend. Ich habe extra eine Alufolie über das feingeriebene Kraut gelegt, damit der Ofenventilator es nicht wegpustet! Ha!

Ich hätte Kasper umgebracht. Meinen besten Freund. Der Unfall wäre meine Schuld. Ich halte es nicht mehr aus, springe aus dem Bett und rufe ihn an.

Er merke immer noch nichts, behauptet er lachend aus dem Auto, aber ich weiß, dass er lügt. Hat er eine Freisprechanlage oder womöglich auch noch das Handy am Ohr? Jetzt passiert es gleich, er kommt vom Weg ab oder rast in die Gegenfahrbahn. Weil er Drogen genommen hat und das Handy in der Hand. Weil ich angerufen habe, sterben noch mehr Menschen.

Er merke noch nichts! Er will mich beruhigen. Er sei fast wieder in Köln und die Fahrt war gut, ruhig, er wäre nur so müde, sagt er mit komischer Stimme. Mein Herz krampft zusammen. Was, wenn das seine letzten Lebensminuten sind? Wenn auf den letzten Kilometern, kurz vor dem Ziel, doch noch etwas passiert? Er in den Rhein stürzt? Hat er wenigstens gute Musik an? Ich lege das Telefon weg, trinke drei Gläser Wasser und schlafe wieder ein. Schöne, sanfte Träume besuchen mich, ich wache mitten in der Nacht auf, esse den Rest der Tapas, lege mich im Garten auf eine Liege, spähe in den Himmel, ob ich einen Stern mehr sehe, das wäre dann Kasper.

Oder vielleicht sehe ich die Space-X Satelliten, wie an jenem Herbstabend vor einigen Jahren, als sie sich perlenkettenartig über den Nachthimmel bewegten. Was suchen sie dort? Sehen sie mich? Haben sie schon längst meinen Einkauf registriert und schauen sie, ob ich eine Dealerin bin? Ich schlafe wieder ein, bis die Amsel mich weckt. Die Sonne scheint.

Eine Nachricht kommt rein. Das war ein tiefer, schöner Schlaf, schreibt Kasper, lass uns das bald mal wiederholen.

Du Penner, denke ich, schreibe es aber nicht.

Nächstes Mal muss er bei mir bleiben. Dann würden wir die Küche nicht aufräumen. Spazieren würden wir und zusammen in der Hängematte liegen, in den Himmel schauen, beobachten, wie viele Satelliten dort zwischen den Sternen herumschnüffeln. Während auf der Straße die Hunde bellend eine Spur verfolgen.

Mein bester Freund. Auf ihn aufpassen. Ihn einfach festhalten.

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