Man kann fantastische Fotos der Köhlbrandbrücke machen. Sie ist aus den 70-ern und schwingt sich elegant über dem Köhlbrand, einer Nebenstrecke der Elbe. Man hat 8 Jahre lang versucht, diese Brücke zu sanieren, für 60 Millionen Euro. Aber jetzt ist es entschieden: in 20 Jahren gibt es die neue, die noch 20 Meter höher sein wird.
Gorieswerder war eine Elbinsel, die sich von Finkenwerder bis Kaltehofe ausstreckte. Während der Sturmfluten des 13. Jahrhunderts wurden schon Finkenwerder und Altenwerder von dieser Insel abgetrennt. Nach den Sturmfluten Ende des 14. Jahrhunderts entstand dann der Köhlbrand, als Gorieswerder immer mehr von Wasser überströmt wurde und so ständig neue Inseln entstanden.
Der Köhlbrand heißt so, weil früher an den Ufern dieses Flusses die dort ansässigen Menschen Holzkohle gebrannt haben, um diese an die Schiffer zu verkaufen. Sie waren die Köhlern.
Die LKWs mit den Containern reihen sich auf der Brücke aneinander. Es sieht wie eine Attraktion in einem Vergnügungspark aus, hoch in der Luft, die farbigen Container schweben übers Wasser in einer immer währenden Bewegung, langsam, gleichmäßig. Wenn ich mir die Brücke anschaue, habe ich das Gefühl, dass es hier um den langsamen Anfang einer Achterbahn geht, die Wagen werden hochgezogen. Sie zittern etwas, sie stocken, denn sie sind noch auf Langsamkeit eingestellt. Ein gleichmäßiges Knarren und Stöhnen ist zu hören, sie kommen fast zum Stillstand. Es entsteht eine ganz kurze Pause, ein Innehalten, ein Stück Leere. Ich stelle mir vor, wie sich gleich ein Abgrund plötzlich auftut, und wie dann die Talfahrt anfängt. Die Wagen kommen ins Rollen, sie werden schneller und schneller bis sie in einer wilden Fahrt fortrasen, geradeaus, in die Kurve, schräg, noch schräger, kopfüber, wieder geradeaus. Die Farben verbinden sich zu einem Regenbogen dort oben in der Luft.
Im 19. Jahrhundert war die einzige Verbindung zwischen Hamburg und Harburg übers Wasser. Man konnte mit der Fähre fahren, und in ganz strengen Wintern übers Eis gehen. Napoleon ließ 1815 in nur 83 Tagen eine Holzbrücke errichten, von Hamburg über die Insel Wilhelmsburg bis nach Harburg. Aber sie wurde nach der französischen Besatzungszeit nicht gepflegt, denn sie stellte eine Konkurrenz zum traditionellen Fährbetrieb dar.
Die Fährleute wollten keine Brücke, die es den Menschen erlauben würde, selbständig zu reisen. Erst als die Eisenbahn gebaut wurde, sah man ein, dass man den individuellen Personenverkehr nicht aufhalten konnte und es wurden Brücken gebaut. Die fleißigen Fährleute aus dem 19. Jahrhundert hätten mal sehen müssen, was jetzt abgeht über den Fluss und untendurch, aus allen Windrichtungen in die Stadt hinein und wieder raus. Sie hätten mal mitkriegen müssen, wie sich jetzt jeder Mensch mit seinem Extragewicht von 1.500 kg und seinem übertrieben großen Wendekreis durch die Landschaft bewegt.
Sie sieht toll aus, die Stadt am Fluss. Riesige Containerschiffe kommen übers Wasser angefahren, die Elbe wird immer tiefer ausgebaggert. Wohin mit den sieben Millionen Kubikmetern Schlick und Sand, die bei Flut vom Wasser Richtung Hafen gedrückt werden? Die Baggerschiffe sind ständig in Bewegung, sie saugen den Schlick auf und transportieren ihn ab. Aber wohin damit? Kann man ihn einfach ins Meer kippen, zum Beispiel vor Helgoland? Damit hat Schleswig Holstein ein Problem, denn es geht hier nicht um sauberen Spielsand, sondern um verseuchten Hafenschlick.
Die Baggerschiffe entsorgen den Schlamm bei Ebbe. Aha. Und wo? Stromaufwärts wieder in den Fluss, damit das nächste Hochwasser ihn erneut Richtung Hafen bringen kann. Ich stelle mir das gerade vor, die Schiffe baggern und machen die Fahrrinne frei, lassen den Schlick stromaufwärts ab und das Wasser spült alles wieder in die freigemachte Fahrrinne zurück . Fast eine buddhistische Tätigkeit, wieso sollte man sich einen japanischen Garten anlegen und dort täglich die Steine harken, wenn man auch mit einem Schiff Schlamm und Schlick baggern kann?
Je tiefer und schmaler der Fluss, um so großer die einwirkenden Kräfte. Die Strömung wird schneller, mehr Schlick wird reingedrückt. Er setzt sich ab, und dann muss die Fahrrinne wieder freigemacht werden. 70 Millionen Euro kostet jährlich die Schlickumverteilung. Hätte die Elbe mehr Auslauffläche, mehr Weite, ein größeres Gebiet, das überflutet werden könnte, würde sie langsamer strömen, die Fahrrinne würde länger frei bleiben. Für das eingesparte Geld findet man schon eine Lösung.
Also Hamburg: Entschleunigung! Breite Flüsse brauchen wir, natürliche Wasserläufe, einen freien Hafen. Ich denke, dass ein langsam fließendes Wasser sich auch auf die Bewohner der Stadt auswirkt. Sie werden ruhiger, wenn die Umgebung ruhiger wird. Sie fahren mehr Fahrrad, durch die Naturschutzgebiete, wo die Elbe ihre Auslaufflächen hätte. Die Nase im frischen Wind, ein wacher Blick. Ein ruhiger Geist.
Man kann tolle Fotos machen dort, vor allem bei Sonnenaufgang.
Es hat gefroren, ein klarer Wintertag fängt an. Der kürzeste des Jahres, es ist gerade Wintersonnenwende. Über die Wiesen hängen Nebelschwaden, die Dezemberluft schimmert in orangefarbenen und pinken Tönen, kurz bevor die Sonne aufgeht. Hier ist dieses bestimmte Winterlicht, das alles möglich macht. Ich sehe die grauen und dunkelgrünen Moorpflanzen, die schwarzen Bäume, die Wasservögel. Eine japanische Tuschezeichnung, jeden Tag neu.
Lass uns noch am Wasser entlang gehen, es hängt einen Hauch von Frühling in der Luft. Die Autos beobachten, die aus allen Himmelsrichtungen angerollt kommen, über Brücken, durch Tunneln, über Autobahnen, die sich in der Stadt verteilen und nach einer Weile wieder rausfahren. Das entscheiden die Autos selber, die autonomen Fahrzeuge, sie lieben den Verkehr. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, freiwillig auf dieser überholten Art durch so eine schöne Stadt zu fahren. Sich dort in seinem Käfig zu ärgern und nichts von den faszinierenden Gebäuden und vom quirligen Leben mitzukriegen, nur weil der blöder Vordermann nicht fahren kann.
Die Hamburger stehen am Wasser und fotografieren die Brücke über den Köhlbrand, so lange es sie noch gibt, wie sie dort zwischen Himmel und Erde schwebt, so als wäre sie eine Achterbahn.
Nachts weiß man, es ist alles nicht echt, sondern frei erfunden, der Verkehr um Hamburg ist Teil eines Theaterstückes, von einem cholerischen Intendanten inszeniert, um seinen Regisseuren ein Zeichen zu setzen und das halbeingeschlafene, überalterte Publikum wachzurütteln. Die Damen im Zuschauerraum rücken ihren Rock gerade und tragen den roten Lippenstift nochmal neu auf, sie konzentrieren sich auf den kleinen Taschenspiegel in der Hand und machen die meist komischen Grimassen dabei, die Herren trinken Astra Pils und haben nichts dagegen.
Nachts spiegelt sich die Stadt in der Elbe, nachts sieht man die Ströme weißer und roter Lichter, wie sie durch die Stadtadern fließen, ständig, wie Blut, das durch den Organismus gepumpt wird. Weiße Lichter, rote Lichter, ab und zu ein schnelles blaues Licht.
Es ist schon ein wenig gruselig, das Ganze dort auf der großen Bühne, sehr packend, da ist man sich einig. Manchmal weiß man, das ist an den Haaren herbeigezogen, und man schüttelt den Kopf über so viel Fantasie. Es ist nicht wirklich realistisch, man hätte vielleicht doch etwas mit der Musik machen müssen, vielleicht einige blue notes einspielen, aber alles in allem ist es eine kunstvolle Inszenierung.
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