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Bei der Stange bleiben

Dort ist das Bahnhofskapellchen, sagt Marianne und zeigt grinsend auf den Kölner Dom. Ich kenne Köln besser als die Kölner, wohne schon seit sechzehn Jahren hier.

Wir stehen in einer Gruppe von elf Personen vor einem Brauhaus, Früh Kölsch, haben eine Erlebnis-Brauerei-Tour gebucht, mit Begleitung einer Fremdenführerin. Hier wird man etwas über Köln und sein Bier lernen. Wir setzen die Maske auf und gehen hinein, Marianne grüßt die Köbes, wie die Kellner hier in Köln heißen, und führt uns nach hinten in einen schummrigen Raum mit niedrigen Decken. Wir setzen uns an einen Tisch und bekommen 11 Stangen Bier. Eine Stange ist ein schmales, gerades Glas mit 0,2 Liter Inhalt, nur für Kölsch gedacht – die einzige Sprache, die man trinken kann, so Marianne. Der Herr Früh hat dieses Bier gebraut, ist aber auch früh gestorben, ist das nicht krass, fragt sie in die Runde. Sie kommt so langsam in Fahrt.

Im Mittelalter wäre das Bier im Gegensatz zu Wasser die einzige Möglichkeit gewesen, seinen Durst zu löschen, sodass emsige Wirte es den Pilgern ausschenkten und sich so einige Taler hinzuverdienten. Gerstensaft war schon immer eine wichtige Einnahmequelle.


Sie zahlt, lässt sich die Quittung geben, wir setzen die Maske wieder auf und gehen raus. Einige Schritte weiter kommt die nächste Brauerei. Das gleiche Ritual findet statt, Marianne grüßt kurz die Männer an der Theke, wir gehen nach hinten in den Saal, setzen uns, nehmen die Maske ab und bekommen eine Stange Kölsch. Prost. Wenn man keinen Deckel drauflegt, werden die Gläser ausgetauscht, sobald sie leer sind.


Die Gruppe wird immer fröhlicher, bei der sechsten Brauerei kommt auch noch ein Schnaps zum Bier. Wie viel sie denn an einem Tag trinken könne? Ich schaffe 30, antwortet die Touristenführerin stolz. Das sind also sechs Liter. Ich sehe sie an, eine zierliche Person, klein, dünn, mit kleinen, schiefen braunen Zähnen. Ist gesund. Reines Bier, mehr braucht man nicht. Sie freue sich schon auf die Rente, dann könne sie hier in der Stadt wohnen, sich in ein Café setzen und den ganzen Tag Leute gucken und Kölsch trinken. Keine JunggesellInnen-Abschiede mehr durch die Stadt führen, keine Touristen mehr.

Ja, dann.


Am nächsten Tag fahre ich mit der Deutschen Bahn nach Hamburg, die Verbindungen sind alle ausgefallen, ich suche anhand des DB Navigators irgendeinen Zug Richtung Norden und steige ein. Die Fahrt dauert viel zu lange. Ich sitze einem gutaussehenden, durchtrainierten DJ gegenüber, mit Muskelshirt und ohne Schuhe. Da kommt schon eine Durchsage, die romantische Vorstellungen aufruft: Liebe Reisende, es gibt einen wunderschönen Sonnenuntergang heute Abend, Sie haben Zeit, sich ihn anzuschauen. Steigen Sie doch aus und genießen Sie ihn, wir werden zwanzig Minuten hier auf dem Gleis stehen bleiben, denn wir warten noch auf einen Zug aus Essen, der gekoppelt werden muss.


Ich steige aus und will das Versprochene genießen, aber da mein Zug, der auf die Koppelung wartet, im Weg steht, sehe ich nur Bahnhof. Ich steige wieder ein und setze mich zum DJ. Er wird morgen bei einer Hochzeit Platten auflegen, ein paar Stunden Schlaf vorher wären schon ganz geil. Dazu sage ich nichts. Unsere Wege werden sich eh in Hannover trennen, dort müssen wir in verschiedene Züge umsteigen.


Barfuß läuft er mit mir durch den Hannoverschen Bahnhof zu Gleis 11, dem Zaubergleis, auf dem noch Züge verkehren. Wir stehen inmitten einer großen Traube Reisender, es wirkt gespenstig im kalten Licht der leuchtenden Displays des ansonsten verlassenen und abgedunkelten Bahnhofs. Ich sehne mich nach Ruhe, Stille und sauberer Bettwäsche. Schlaf, wäre schon ganz geil. Wir könnten hier eine Übernachtungsmöglichkeit suchen, hätte ich fast vorgeschlagen. Aber ich halte mich gerade noch zurück, denn das Brautpaar, das er am nächsten Tag in ein langes und glückliches Leben hineinbegleiten wird, hat die Hochzeitsfeier perfekt durchgeplant, auf den DJ kann es nicht verzichten. Außerdem muss ich morgen einen Poetry Slam-Abend in Harburg moderieren.


Im Zug nach Hamburg verzögert sich alles immer weiter. Die Schweizer Jugendlichen, die auf dem Weg nach Kopenhagen sind und nun ihre Verbindung nicht bekommen werden, staunen jedes Mal über die Ansagen. Ich weiß, Sie hassen mich jetzt, aber der Zug muss hier vor Lüneburg leider noch länger stehen bleiben, es gibt eine technische Störung. Den Anschluss nach Kopenhagen schaffen wir nicht mehr, Sie können in Hamburg aussteigen und sich zum Service-Punkt begeben. Es ist inzwischen Mitternacht. Keiner hier hasst die Zugbegleiter, dafür sind alle zu müde.


Ich stelle mir ein Brautpaar vor, eine perfekt geplante Hochzeit. Nur der DJ ist zu spät, er kommt nach einer kurzen wilden Nacht in einem Bahnhofskapellchen barfuß angelaufen und lässt erstmal eine Poetry-Slammerin auftreten, um die Stimmung anzuheizen. Die Gäste finden alles gut, sie waren gerade in Köln auf Kneipentour, wo eine zierliche Dame mit schiefen Zähnen sie alle unter den Tisch getrunken hat. Das Brautpaar hat eine Hochzeitsreise mit der Deutschen Bahn gebucht. Der Schaffner wünscht ihnen einen schönen Sonnenuntergang auf Gleis 4 in Hamm.


Ich sitze inzwischen mit einer Gruppe Schweizer Jungs im Hamburger Hauptbahnhof und trinke einige Stangen Bier, die fast gut schmecken, denn es ist Sommer, es steht ein leichter Wind und der Regen hat gerade mal kurz aufgehört.



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