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Dicke Eier

- Diese hier, die sind super. Saftig und süß. Der Obstverkäufer zeigt auf eine Holzkiste voller Mandarinen, sie leuchten fröhlich orange gegen die graue Umgebung auf.

- Gut, Schätzchen, dann tu mir mal zwölf inne Tüte, und dann brauche ich noch zwei Auberginen. Hast du schöne dabei?


Schätzchen hat rote Backen, als er die Mandarinen und Auberginen in den Korb der Kundin legt. Sie trägt weiße Springerstiefel mit dicken Sohlen und hat eine pinkfarbene Wollmütze auf. Sie hole gleich die Enkel vom Kindergarten ab, freue sich schon. Sie zahlt. Tschüss, Schatz. Der Obstverkäufer legt noch einen Apfel dazu und reicht den Korb wieder über die Theke.

Seine Frau lächelt hinter einem Berg Grünkohl, sie wiegt gerade Wallnüsse ab. Die Kunden vor dem Gemüsestand reden über die Kälte, über die Schulkinder, wie sie jeden morgen zehn Kilometer mit dem Bus in die Stadt fahren müssen, bis die Dorfschule renoviert ist. Das Hochwasser vom Sommer stand zwei Meter hoch in den Klassenräumen.


Ich bin an der Reihe, ob sie auch Eier haben?

Na ja, sagt der Obstverkäufer, ich habe dicke Eier. Geht nur mit Gummi.

Ich sehe zögernd seine Frau an.

Stimmt, sagt sie, die sind total lecker.

Jetzt bekomme ich rote Backen, suche eine spitze Antwort, aber da wird mir schon ein Eierkarton hingehalten. Die Eier sind so dick, dass man den Karton nur mithilfe eines Gummibandes schließen kann.

Das sind Eier mit zwei Dottern, versichert sie mir, etwas, was mich kaum beruhigt. Ich finde es gruselig, aber ich kaufe sie.


Ich hatte den Hund trainiert, sagt Ellen mit leuchtenden Augen. Er hat für mich Eier geklaut.

Ellen ist 1938 geboren, ihre Kindheit hat sie im Krieg und auf der Flucht verbracht. Sie lebte mit ihrer jüngeren Schwester und den Eltern in einem Mehrfamilienhaus in Wuppertal, bis die Bomben das Gebäude zerstörten. Dann zogen sie in einen Bauernhof außerhalb der Stadt und hatten Hunger.


Es gab viele Kinder, aber Ellen war die Anführerin. Sie bauten Lager im Wald. Dort versteckten sie alles, was sie klauen konnten. Brot, Milch. Eier. Der Hund, der sieben Junge hatte und auch immer hungrig war, holte die Eier aus dem Stall.

Oft kamen Flüchtlinge am Wald vorbei. Verletzte, Verzweifelte. Die Kinder gaben ihnen etwas von ihrem Vorrat ab.

Ich war für meine kleine Schwester verantwortlich, sagt Ellen. Sie hat sich von meiner Hand losgerissen und ist auf die Straße gerannt, wo ein Wagen über ihren Fuß gefahren ist. Der Fuß ist nie mehr gesund geworden.


Ich telefoniere gerade mit ihr. Probleme machen ihr die Dummheit und die Gier der Leute. Nervig, die langen Gespräche mit den Rechtsanwälten, das begrenze ihre Kraft. Sie hört sich müde an.

Kennengelernt habe ich sie im Zug, eine zierliche Frau, die feinen, weißblonden Haare sorgfältig hochgesteckt. Sie hat Sekt aus ihrer Handtasche genommen, ihn in einen Plastikbecher geschüttet und mir zugeprostet. Diese Tasche, sagte sie, habe ich schon mehr als 50 Jahre lang, ich habe nie eine andere gehabt. Mein Mantel, 40 Jahre alt.

Sie erzählte mir aus ihrem Leben, noch nie ist mir eine Zugfahrt so kurzweilig vorgekommen. Eigentlich sollte sie ihre Biografie schreiben lassen, aber das möchte sie nicht. Sie will sich nicht so wichtig hervortun. Sie sieht sich immer noch als Räuberhäuptling.

Später hat dieses Kriegskind mehr als 600 Eigentumswohnungen gebaut sowie verschiedene Supermärkte. Es wurde Millionärin, wohnt jetzt in einer Villa oben auf einem Hügel, sammelt Kunst und kocht für Obdachlose. Es hat sich emotional nie binden können.


Wenn sie Nudeln kocht, schüttet Ellen das Wasser nicht weg, sondern macht eine Suppe daraus. Jeden Tag geht sie mindestens zehn Kilometer, jeden Tag trinkt sie ein Glas Sekt. Der Mantel bleibt ihr einziger, die Handtasche auch. Stille Begleiter aus früheren Zeiten.


Heute hört sie sich am Telefon erschöpft an. Sie habe sich eine Grippe eingefangen. Wahrscheinlich vom vielen Zugfahren, nach Luxemburg, wo ihre Stiftung ihren Sitz hat.

Jetzt gleich komme noch der Rechtsanwalt aus Spanien, um über die Immobilien auf Mallorca zu reden, das werde auch noch anstrengend. Ihre Stimme ist ganz belegt.


Ich überlege, ob ich ihr eine Hühnerbrühe vorbeibringen soll, rufe meine Freundin Karina an. Wie kocht man Hühnerbrühe? Aus einem ganzen Huhn oder nur aus dem Nacken? Ich kenne mich mit dem Zubereiten von Fleisch nicht gut aus. Mein Großvater, der Zauberer war, schwor auf Hühnernacken, erinnere ich mich. Dort sitze die ganze Energie, die man brauche, um gesund zu werden.

Karina meint, aus einem ganzen Huhn.

Ich sehe mir einige Brühwürfel an, weiß nicht, was ich machen soll.


Ob ich auch ein Spiegelei möchte, fragt mein Sohn in der Küche. Voll krass diese Eier, meint er, die haben doppeltes Eigelb.

Wir haben alles doppelt, antworte ich. Es ist doppelt so warm im Haus, wir sind doppelt so schwer wie die Leute im Krieg. Wir essen das Fünffache und haben das Zehnfache an Klamotten. Ich nehme zwei Mandarinen aus der Obstschale und pelle sie. Er sieht mich an, versteht nicht, was ich meine. Lässt die Eier auf einen Toast gleiten. Sie haben die gleiche leuchtende Farbe wie die Mandarinen.


Wir sitzen am Tisch, das Feuer knistert im Kamin, draußen fällt Schnee. Ich esse beide Mandarinen, er schaut sich auf dem Handy Kurzfilme an, wie einige TikTok-Stars in einer Villa auf Ibiza Spiegeleier essen.

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