Wie kann man jemanden vergiften, der nicht isst? so Karsten, der an sein Buch der Gifte arbeitet. Es ist inzwischen in der 3. Auflage. Dieses Buch behandelt auch das Thema der Virustatika. Ein Virus, so schreibt er, besitzt keinen Stoffwechsel, es vermehrt sich mit Hilfe der von ihm befallenen Zellen. Also wie kann man es bekämpfen?
Man soll vor allem aufpassen, dass das Virus nicht in die Körperzelle eindringen kann. Wenn es aber schon zu spät ist, soll man versuchen zu verhindern, dass es seine Information in der Zelle vermehren kann. Wenn man allerdings auch da hinterherhinkt, sollte man wenigstens versuchen, die vermehrten Viren nicht aus der Körperzelle wieder austreten zu lassen. Denn dann werden sie andere Zellen attackieren.
Karsten erklärt anhand von chemischen Formeln, wie genau welches Protein dazu eingesetzt werden kann, in den verschiedenen Stufen der Virenbekämpfung einzugreifen, aber das können Sie am besten selber nachlesen. Übrigens mutieren die Viren sofort, es ist unfassbar, wie anpassungsfähig sie sind, und wenn ein Medikament endlich entwickelt worden ist, hat das Virus schon komplett andere Eigenschaften.
Eigentlich kann man nichts dagegen tun. COVID-19 ist ein Teil von uns. Es ist uns. Es kann ohne uns nicht überleben. Es folgt uns überall, teilt Tisch und Bett mit uns, Freunde und Familie, Geschäftspartner und Liebhaber. Unsichtbar formt es Teil unseres Lebens. Es formt unser Leben. Es zeigt uns, was wir sind. Es hat immer einen Vorsprung, vereint die Zellen der gesamten Menschheit auf der Erde, überspringt die körperlichen Grenzen mühelos. Es braucht nichts zu essen, kann nicht vergiftet werden.
Es hat die Kanäle in Venedig aufgeräumt, sie sind wieder klar. Es hat die Luft über China gesäubert, die Smog-Belastung ist dort extrem zurückgegangen, Sie können das auf Satellit-Fotos sehen. Es hat die Staus in Europa aufgelöst und alle Autobahnen freigepustet. Es hat den Wind aus den rechtspopulistischen Flügeln genommen, denn jetzt merkt sogar die dümmste Person, dass manche Sprüche nun wirklich keinen Sinn ergeben. Das Virus hat das Telefonnetz umfunktioniert, es hat die Mailboxen verschlossen und die Anrufbeantworter zum Schweigen gebracht. Die Nachrichten nach dem Pieps sind fast verschwunden und der Pieps genauso. Dafür leben die Hauskonzerte wieder auf. Die Liebeslieder auf dem Balkon.
Es sorgt dafür, dass der Staat endlich überlegt, kleine Betriebe zu unterstützen, ich sehe beim Hamburg Journal, wie die Leute von Hobenköök interviewt werden. Die haben eine Markthalle im Oberhafen, dort kann man die leckersten lokalen Gerichte bekommen, frisch zubereitet und mit einer großen Portion Liebe serviert. https://hobenkoeoek.de/ Sie haben jetzt eine harte Zeit, wie so viele Betriebe gerade. Ich denke an die ganzen kleinen Läden im Karolinenviertel, an die Cafés, wo ich im Herbst viele schöne Stunden verbracht habe, und die jetzt irgendwie überleben müssen. Ich wünsche ihnen viel Mut, Kreativität und Geld, damit es weitergehen kann.
Madame Lagarde, die großartige Christine Madeleine Odette Lagarde ist festentschlossen, hier nicht klein beizugeben. Sie kauft fleißig Papiere am Finanzmarkt und hält dadurch den Leitzins niedrig. Sie wird ihre Wertpapierkäufe um 750 Milliarden Euro aufzustocken, um Europa die notwendige Finanzspritze zu geben.
Ich sehe von meinem Schreibzimmer aus, wie ein junges Paar einen Anhänger Pferdemist durch den Garten fährt. Ich hatte sie letzte Woche gefragt, mir den Mist vorbeizubringen. So bald der Anhänger leer ist und sie den leichten Hang wieder hochfahren wollen, fährt sich das Auto natürlich fest, es hat viel geregnet und das Gras ist nass. Ich merke, dass nichts mehr geht, stelle den Plattenspieler ab, ziehe mir die Gummistiefel an und gehe raus.
Die Räder drehen durch, die Grasbündel fliegen hoch in die Luft. Ich meine zu wissen, wie man am besten wieder rausfährt, aber es wird immer schlimmer, das Auto rutscht nur hin und her, der Anhänger in die andere Richtung, die Reifenprofile sind voller Schlamm und haben gar keinen Halt mehr.
Der Nordostwind ist kalt und schneidend. Ich schlage vor, erstmal einen Kaffee zu trinken, es wird schon eine Lösung kommen. Dort stehen wir mit unseren dampfenden Tassen auf der Terrasse und sehen uns den dampfenden Mist und das festgefahrene Auto an.
Wir reden über den Sommer, wie dann Erbsen, Möhren und Erdbeeren wachsen werden. Himbeeren und Petersilie. Sie erzählen über ihren Hof und die Pferde, wie sie am liebsten mit den Tieren zum Strand fahren. Frühmorgens an der Flutlinie entlang galoppieren, die Haare im Wind. Die Pferde ausgelassen und wild.
Das Zusammenstehen sorgt für gute Laune, wir wissen, es kann gar nichts passieren, wir müssen einfach das Auto irgendwie wieder herausbekommen. Das Gras wird sich schnell erholen. Wir trinken den Kaffee, stellen die leeren Tassen ins Kräuterbeet und packen das Chaos an. Wir schieben ein bisschen hin und her, bis das Auto plötzlich frei ist.
Wie kann man jemanden vergiften, der nicht isst? Vielleicht muss man ihn nicht vergiften. Vielleicht muss man ihn fragen, was er eigentlich will. Und sich dann überlegen, wie viel Platz er bekommt.
COVID-19 ist schon längst ein Teil von uns. Es hat seine Spuren auf der Welt klar hinterlassen. Es zeigt uns, dass es keine Grenzen gibt, keine Körpergrenzen, keine Staatsgrenzen. Es vereint die ganze Welt und kümmert sich nicht darum, ob wir das nun gut finden oder schlecht.
Ich denke an die Küste. An Wolken, Regen und Wind. Salzige Luft, galoppierende Pferde. Sie hinterlassen tiefe Spuren im nassen Sand, die mit der nächsten Welle wieder weggewischt werden. Erst sind die Abdrücke tief und bedeutsam, sie zeigen eine Spur. Einen Augenblick später sind sie jedoch für immer verschwunden.
Buchtipp:
Karsten Strey: die Welt der Gifte
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