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Bouillabaisse

Ich würde die Klamotten weiter nach hinten legen, warnt der sportliche Mann mit Mütze, der am Strand mit seinem Hund spaziert. Es gibt hier gleich Hochwasser, es wäre nicht das erste Mal, dass Kleider weggespült werden.

Ich sehe ihn an.

Es hat elf Grad, es weht ein ziemlich starker Wind, der das Wasser der Elbe hochpeitscht. Es regnet leicht, die Flut kommt, es steht eine starke Strömung. Ein Containerschiff fährt vorbei.

Ich hatte meine Tasche hingestellt, die Jacke ausgezogen, weil ich einen zusätzlichen Pulli anziehen wollte, den ich dabeihatte. Als der Mann an mir vorbeigelaufen war, hatte ich behauptet, ich würde jetzt mal schwimmen gehen. Er hat auf das graue, wild strömende Wasser der Elbe geschaut, seinen Hund zu sich gerufen und ist zögerlich weitergelaufen. Aber sein Gewissen hat ihn zurückgeschickt, um zumindest dafür zu sorgen, dass die verrückte Schwimmerin wenigstens trockene Kleider am Strand wiederfinden würde.

Ich wollte nicht wirklich schwimmen gehen, beruhige ich ihn.

Es gibt aber immer wieder solche Verrückte, ist die erleichterte Antwort. Er geht weiter, der Hund rast hinter einer Möwe her, ich stelle mich ins Wasser und freue mich, dass die Gummistiefeln dicht halten.

Sie dürfen hier nicht essen, sagt die Fischverkäuferin, als sie mir die Suppe rausbringt. Ich warte coronagerecht draußen vor dem Laden, sodass andere Gäste einkaufen können, aber es weht ein starker Wind, es regnet und ich habe angefangen, an dem Tisch draußen auf der Terrasse das Krabbenbrötchen zu essen, weil die Krabben im Sturm vom Brötchen wegfliegen.

Aber ich darf mich natürlich nicht auf der Terrasse aufhalten, auch wenn ich die einzige Person bin, die sich dort befindet, denn der Außenbereich muss geschlossen bleiben. Die Verkäuferin reicht mir die Bouillabaisse, ich wische mir den Mund ab, setze den Mundschutz auf und gleich wieder ab und entferne mich, in der einen Hand das halbe Krabbenbrötchen, in der anderen eine Tüte mit der Suppenbox drin, randvoll mit frischer, heißer Suppe. Der Regen wird stärker, ich frage mich, wie man eine heiße Suppe aus einer Plastikbox essen kann, ohne Löffel. Hinter mir her fliegen einige Möwen, die Krabben essen wollen, ich gehe bis zur nächsten Parkbucht, stelle die Suppe auf einen Stromkasten und esse schnell das Brötchen zu Ende. Zum Glück war ich nicht schwimmen, sonst bräuchte ich wahrscheinlich sofort eine heiße Suppe und müsste sie unelegant aus der Packung schlürfen.

Die Teppiche hier im Laden sind alle recycled, sagt der Fachberater des Möbelgeschäfts, als ich hineinspaziere, mich hinknie und den Teppich fühle, weil er so schön aussieht. Ich habe mir natürlich vorher im Waschraum die Hände gewaschen und desinfiziert. Ist das Wolle? Der Stoff ist verwaschen, von einem unregelmäßigen Blau, er hat eine besondere Ausstrahlung, weshalb ich gleich daran fühlen muss.

Ich sehe die Füße des Fachberaters vor mir. Italienisches Leder, englisches Modell, Oxfords, not Brogues, versuche ich ihm zu schmeicheln. Er reagiert mit einem fragenden, etwas unsicheren Lächeln.

Ich stehe auf und lass mich beraten, der Mann weiß, was er hier verkauft. Er weiß sogar, wo die Teppiche hergestellt werden und wer sie herstellt. Meine Gummistiefel sind voller Elbsand, ich überlege, ob ich sie ausziehen soll, entscheide mich aber dagegen. Ich kann mich ja auf dem rohen Holzboden aufhalten. Hier im Laden sind sie auf den Boden festgeklebt, ergänzt der Mann seine Beratung, entschuldigend, als überlegte er, zusammen mit mir verschwörerisch den Sand unter den Teppich zu kehren.

Das Geschäft befindet sich im stilwerk, nicht weit vom Fischmarkt Altona, man weiß sofort, wo, weil man die stilwerk-Brücke kennt, die sich elegant über die Große Elbstraße streckt. Das Gebäude ist großartig, eine alte Malzfabrik, in der vieles von der alten Architektur beibehalten wurde. Wenn man durchs Treppenhaus geht, kann man die ganze Geschichte lesen und dazu Fotos ansehen. Die Kunsthalle hat zu, Leute. Was soll man sonst machen? Es gibt hier und da einen Hauch erreichbarer Kultur in der verlassenen Stadt. Hungrig verschlingen meine Augen die liebevoll zusammengestellte Fotoreportage eines denkmalgeschützten Schatzes am Hafen.

Da haben Sie aber einen Großeinkauf gemacht, sagt der Mann im Frische-Paradies, als ich die zwei Petersilienwurzeln aufs Band lege. Ich lache ihn hinter meiner Maske an. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ich zahle achtzig Cent und antworte, ich würde für ihn mitkochen, falls er möchte. Er winkt ab.

Ich besteige die Fähre und schippere übers Wasser. Ein schwerer Seegang, waagrechter Regen, die Luft so grau wie das Wasser. Stille Passagiere. Keine Musik, nur die Wellen und der Wind. Die Bouillabaisse in der Plastiktüte.

Es ist Abendessenszeit, ich stelle die Suppe zum Aufwärmen auf einen Holzofen. Sie ist unglaublich gut. Frisch, kräftig, richtig gewürzt. So hat ein Novembertag im Lockdown Light doch noch seine Highlights. Ich brauche nicht einmal die Petersilienwurzel, sie ist perfekt.

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