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Saturn, Jupiter und Halbmonde

Aktualisiert: 14. Dez. 2022


Eine obdachlose Frau, Person Of Colour, schläft „unter Saturn“, auf der Mönckebergstraße. Sie sammelt auf einer geknickten, mehrfach gefalteten Pappe, Dreck vom Straßenpflaster auf, um Arbeit zu haben. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Von Märchen keine Spur, es ist harte Realität. Sie bückt sich tief nach unten. Ihre Füße stecken verquer in Badelatschen, es ist Ende September, die Temperaturen sind besonders kalt an diesen Tagen. Sie summt oder brummt etwas. Eine unbekannte Melodie oder nur Laute, die sie an etwas erinnern?


Sie schläft mit ihren ganzen Isomatten und Sachen vor Saturn, mit dem Kopf an der Scheibe des Geschäfts. Ein anderer Mensch, Freund oder Freundin oder einfach ein Mensch, den sie nicht kennt, dem kalt war, ist auf dem gemeinsamen Lager noch in Decken eingehüllt, schläft. Gegenüber der beiden ist das Kaufhaus Jupiter: „Das einzige Kaufhaus, dass dich reicher macht, auf dem Kreativplaneten Hamburg.“


Gegenüber, unter Jupiter, liegen ein Mann, 10 Meter weiter zwei Frauen. Sie haben sich ebenso aus Pappen, Matten, Decken, aus Allerlei ein Lager, eine Bettstatt gebaut. Sie wurden an diesem Sonntagmorgen von einer Hamburger Bäckerei mit Resten von gestern beschenkt. Es stapeln sich die Tüten mit hellem Weizenbrot, vor allem die Croissants, die Halbmonde sind in der Überzahl. Es sieht fast aus, als hätten sie sich wie Kinder eine Höhle aus Brot gebaut. Die Backwaren überlagern die Decken und Schlafsäcke, sie quillen aus den Einkaufskörben, die ihre Lastentiere sein könnten. Leere Kaffeebecher aus Pappe sollen die Münzen auffangen.


An der Ecke des Kaufhauses, hinter der der Hauptbahnhof wohnt, liegt eine menschliche Notdurft. Ein flippiger Mann, der sein Lager um die Ecke hat, verlebt aussieht, kommt vorbeigefegt und fragt die beiden Frauen im Vorbeirennen: „Na, wer hat gekackt?“ „Alle“, sagen die zwei Schwestern aus Osteuropa, wie aus einem Munde. Sie schmeißen ihm eine Bäckertüte zu, er lacht ein zahnloses Lachen, in das die beiden Frauen zahnvoll einstimmen. Es beginnt zu regnen. Jupiter spendet Schutz und Trockenheit, er spendet eine Überdachung.


An diesem Sonntagmorgen haben diese obdachlosen Menschen Essen, sie bekommen Heißgetränke geschenkt, sie haben zumindest ein Regendach über dem Kopf. Weiter oben auf der Mönckebergstraße, fast am Rathausplatz, sehe ich, wie sich andere Obdachlose in neue Konstellationen zusammentun. Als würde ein Mann zu einer Frau sagen: „Du bist heute meine Frau und wir kommen aus Rumänien, nicht aus Russland“. Die Woche drauf war er allein. Ich habe ihn auch schon mit seinem Bruder gesehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er Russe ist, aber diese Nationalität bekommt in diesen Zeiten auf der Straße möglicherweise zu wenig Geld, zu wenig Mitgefühl?


Ich erzähle ihnen von den vielen Bäckertüten, die in der Bahnhofsgegend verteilt wurden. Er wird daraufhin sehr wütend, auf gebrochenem deutsch und englisch schimpft er, immer nur am Bahnhof, die machen es sich sehr bequem, warum kommen sie nicht mal hier zum Rathausplatz? Seine Frau für einen Tag widerspricht ihm, beschwichtigt ihn auf russisch. Man kann ja auch Russisch sprechen, ohne Russin, Russe zu sein. Man kann auch Russin, Russe sein, ohne den Krieg zu befürworten, als Flüchtling, als Heimatloser, als Soldat, als Mutter, Vater etc. Es ist ihre Angst, als Russen erkannt zu werden und unsere Vorurteile und Befürchtungen, die ihnen Angst machen.






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