Das alte Auto fährt in Schlangenlinie an mir vorbei. Es hält an, und wenn ich näher komme, fährt es weiter, mal an der linken Seite der breiten Landstraße, mal rechts, ich denke an den fröhlichen Abend gestern im Café, wo ich mich mit drei Freundinnen getroffen habe, und frage mich, ob der Fahrer auch da war. Hoffentlich kommt jetzt kein Gegenverkehr. Ich verlasse die Straße, laufe in einen Feldweg hinein.
Es ist ein klarer, frostiger Wintertag mit einem blassblauen Himmel, scharfen Umrissen der Bäume und einer zaghaften Januarsonne, die es nicht schafft, Höhe zu gewinnen.
In der Ferne liegt die Eifel, ich sehe die dunklen Hügelketten, die Windräder, die sich langsam drehen. Eine verwischte Flugzeugspur hängt anspruchslos über dem Horizont. Ein Bussard kreist über den gefrorenen Feldern. Ich höre den Lanz und Precht-Podcast über Kopfhörer. Die Themen sind groß und ernst, aber wenn Markus Lanz das Lachen nicht zurückhalten kann, muss ich mitlachen, es ist so ansteckend.
Das Eis auf den gefrorenen Pfützen knistert winterlich. Nach einer Weile kreuze ich erneut die Landstraße, und schon kommt das alte Auto wieder angefahren. Diesmal fährt es immer langsamer und biegt schließlich auf eine Wiese ein, der Motor stirbt ab, jemand steigt aus. Ich komme näher und sehe einen kleinen grünen Mann in Wanderstiefeln. Die Jacke, die Hose, die ganze Tracht ist tannengrün, sogar der Hut. Er geht am Zaun entlang und bleibt stehen, nimmt die Canon, die er um den Hals trägt, vorsichtig in die Hand und sieht durchs Objektiv.
Falken? Frage ich, als ich an ihm vorbeikomme. Forschend sieht er mich an, er ist Mitte achtzig und hat nur noch zwei Zähne im Mund. Unten im Dorf nisten sie, sagt er, Turmfalken. Aber hier kommen sie zum Essen hin.
Die Wiese ist gefroren, die Mäuse schaffen es nicht, sich tief einzugraben, sodass ihre Gänge an der Oberfläche erkennbar sind und sie eine einfache Beute. Im Gegensatz zu den Greifvögeln bauen Falken keine Nester, sie brüten in Höhlen oder in Nestern von anderen Tieren, sagt der Mann. Ich sehe ihn an. Keine Greifvögel. Was dann? Falconidae, sagt er stolz, Falkenartige. Aha.
Er fängt zu fotografieren an, ich gehe weiter. Wenn er die Kamera so hält, wie er Auto fährt, gibt’s Wackelbilder. Als ich den Podcast wieder anschalte, höre ich, wie er mir noch hinterherruft, ob ich denn weiß, wo die Fischreiher sind. Ich drehe mich um, sage, dass sie hier sind, wenn es wärmer ist und regnerisch, denn sie fressen Frösche. Sofort belehrt er mich, dass sie Mäuse fressen. Sie sind wohl verreist, sinniert er.
Vereist, denke ich, nicke aber nur.
WAT-NU ..., ist das Nummernschild eines Autos, das vorbeifährt. Das ist schon ein Grund, sich in Wattenscheid anzumelden. Es wirkt bestimmt deeskalierend bei einem Unfall.
Meine schottische Cousine lacht sich jedes Mal schlapp, wenn wir durchs Ruhrgebiet fahren. What a Shite, Bright Shite. Bird Shite. Take the Ausfart? Ich sehne mich gerade nach Schottland, nach einem Strand im Wintersturm, nach dem Geruch von verbranntem Torf, nach Tee und Scones. Nach langen Wanderungen durch die Moorlandschaft.
Einige Tage später gehe ich durch einen Wintersturm über den Strand. Die Wolken lassen etwas Sonne durch, es ist ein unfassbar schöner Wintermoment in Övelgönne. Das Hochwasser hat die Sträucher und Steine am Ufer schon verschwinden lassen. Die Parkplätze an der Elbe auch. Bald ist Vollmond.
Drei junge Polizistinnen reiten über den Strand. Ich frage, ob ich sie fotografieren darf, sie stellen sich mit den schönen großen Pferden vor die Hafenkräne. Ich fotografiere auch noch ungefragt einige Hunde, die mit ansteckender Freude im Sand tollen. Ich sehe um mich, ob sich hier zweizähnige Ornithologen aufhalten. Weit hergeholt scheint mir das nicht, ist hier doch die Seniorenresidenz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer an so einem herrlichen Wintertag im Zimmer bleibt. Oder Bingo spielt. Oder Schlimmeres.
Auf einer Strandterrasse hat man fast die Füße im Wasser, ein junger Mann räumt die Decken weg, denn gleich wird alles nass. Ich setze mich hin, kaufe eine Hinz & Kunzt, friere ein bisschen und und sehe mir das Wolkenspiel an.
Hamburg hat laut der NDR 90,3-App eine Inzidenz über 1.000 erreicht. What a shite, denke ich und trinke den Kaffee.
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