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Es läuft

In der Schweiz findet man kostenlose Spender mit dem Schriftzug: “Na, läufts?” Es handelt sich hier leider nicht um Freibier, das Bier kostet in der Schweiz um die 13 Euro pro Liter für ein einheimisches, ungefähr 17 für einen Auslandsbier. Aber aus dem Spender kann man umsonst Taschentücher ziehen, so dass man in der Kälte mit laufender Nase schnell Hilfe hat.

Das braucht Hamburg auch, Papiertaschentuchspender, man kann ja Ökopapier reintun.

In der S-Bahn erzähle ich das einer Dame, sie gibt mir lachend ein Stück Küchenrolle, da ich bis zum Bahnhof mit dem Fahrrad gefahren bin, und die Nase läuft. Sie hat einen tollen Mantel von Dries van Noten an und ist an diesem Sonntagnachmittag zu einer Ausstellung unterwegs. Der Kleidungsstil der Dame ist genau wie ihre Frisur und das Make-up schräg, wunderbar. Sie bringt Farbe in das kalte, graue Novemberwetter und hat Spaß dabei. Sie fragt, ob ich mit zur Ausstellung komme, wir könnten zusammen ein Astra trinken– Was dagegen? Es läuft, so denke ich.

Hamburg weiß, dass es nass, kalt und grau ist gerade. Die Stadt tut, was sie kann, um eine feierliche Weihnachtsatmosphäre zu schaffen, überall werden Lichterketten angebracht, die Schaufenster werden schön dekoriert und die Weihnachtsbuden sind aufgebaut. Ich habe schon Glühweinstände am Alsterspazierweg gerochen. Der Duft wabert übers Wasser. Haben Sie schon mal selber Glühwein gemacht? Das ist die einfachste Übung. Eine Flasche guten Rotwein, 50 ml Rum dazu, 50 g Zucker. Apfelsinen, Zimtstangen, Nelken und Anis.

Wenn ich am Montagnachmittag an Glühwein denke und dabei durch die großen Fenster der Bücherhallen in die regnerische Dunkelheit schaue, bekomme ich Lust darauf. Gerd, der sich zu mir gesetzt hat, bestätigt, der Glühwein ist das Beste auf dem Weihnachtsmarkt und er passt sehr gut zu Hamburg, er braucht aber einen richtigen Schuss Rum. Ich denke an Aachen, dort wird der Weihnachtsmarkt gerade auch aufgebaut, und wie jedes Jahr kommen aus dem umliegenden Hügelland die Menschen herunter in den Talkessel, um sich dort zu treffen und Printen einzukaufen. Sie singen Lieder in vielen Sprachen, finden den Weihnachtsmarkt genauso wie Karneval das Beste, was es gibt, und ihren Dom den allerschönsten. Das kann sein, der Aachener Dom sieht wie ein Gugelhupf aus.

Die Printen kamen ursprünglich aus Dinant in Belgien. Das ist die Stadt, in der Adolphe Sax geboren ist, der Erfinder des Saxophons. Die Kupferstecher brachten die Printen in die Kaiserstadt, als sie auf der Suche nach Arbeit in Aachen ankamen. Aber auch noch viel früher wurde ein ähnliches Gebäck als Wegverpflegung für die Pilger ausgeteilt. Es wurde sogar zu starkem Bier in der Fastenzeit gereicht. Vergessen Sie die Kohlsuppe, wenn Sie fasten wollen. Essen Sie lieber heilige Pilgernahrung.

Printen werden ohne Eier, Milch und Butter gebacken, wodurch man sie bis in aller Ewigkeit mit sich tragen kann, sie werden nicht schlecht. Stecken Sie sich einige davon in die Tasche für Ihre Wanderung durch die Eifel, über die Grenze in das belgische Hohe Venn. Gehen Sie dort respektvoll über die Wege, denn da ruhen überall Moorleichen. Es sind Leute, die die Wege nicht kannten, und sich im Moor verirrt haben. Diese haben teilweise nach hunderten von Jahren noch Printen in der Hosentasche.

Manch Unglücklicher hatte jedoch nicht einmal Printen dabei und ist dann ohne Weiteres elendig im Moor verendet, egal ob er sich auskannte oder nicht.

Ein Hochmoor besteht zu 90% aus Wasser, das dort gespeichert wird. Es ist wie ein vollgesaugter Schwamm. Nur sehr wenige Pflanzenarten, meistens Sträucher, können auf dem sauren, nassen Boden wachsen, und auf der Oberfläche des Moores können fast keine Pflanzen komplett verrotten, es bleiben immer Reste übrig, sie formen den sogenannten Torf. Fragen Sie in Ihrem Gartenzentrum nach. Größere Pflanzen können dort nicht einmal überleben, sie brauchen einen festeren und weniger sauren Boden, nicht so einen mit kaum Sauerstoff, der Leichen optimal konserviert.

Es dauert sehr lange bis ein Hochmoor sich entwickelt. Bei einem schnellen Prozess kann es Jahrhunderte dauern. Das Teufelsmoor bei Worpswede? Es hat sich über 8.000 Jahre gebildet.

Die Menschen sind früher durch die Moorlandschaften gezogen, auf der Suche nach Arbeit. Sie sind täglich mehr als 25 Kilometer gelaufen, um in die Stadt zu kommen. Dafür braucht man ca. 5 Stunden, morgens 2,5 und abends auch. Vor allem im Winter ein gruseliges Abenteuer, das nicht immer gut ausging.

Heute gibt es im Hamburger Hauptbahnhof das komplette S-Bahn Chaos, es geht gar nichts Richtung Süden, nur bis nach Hammerbrook, dort sollten Sie bitte auf Schienenersatzverkehr umsteigen, Busse und Taxen werden für Sie eingesetzt. Der Hauptbahnhof ist ein Ameisenhaufen, die Leute werden immer mehr, sie laufen verwirrt durcheinander, die Durchsagen widersprechen sich. Ich nehme eine U-bahn in die andere Richtung, steige bei den Landungsbrücken aus, es ist Montagabend, schon längst total dunkel, es regnet feine Silberfäden, ich werde Boot fahren. Gemütlich im warmen Schiff, Lichter gucken, den Hafen auf der einen Seite, die Stadt auf der anderen. Das machen, wofür die HVV-Karte eigentlich gedacht ist.

Ich muss nicht mehr durchs Moor stapfen, stundenlang durch den Regen, durch den Schlamm, der an den Schuhen klumpt. Ich kann hier einfach sitzen bleiben, so lange, wie ich will, und übers Wasser reisen. Das Schiff setzt mich irgendwann wieder an den Landungsbrücken ab. Dann nehme ich die U-Bahn bis zum Karo-Viertel, gehe in ein kleines Café hinein, frage nach einem schweizerischen Bier und freue mich total, dass es das dort nicht gibt, viel zu teuer, bewundere den perfekten Schaum des frisch gezapften Astras. Läuft. Perlt. Es muss nicht immer Glühwein sein.

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