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die Geheimrezeptur

Fischgeruch wabert durch den Flur. Backfisch oder Fischstäbchen. Ich weiß nicht, was die Mitbewohner heute Abend kochen, aber frisch riecht es nicht.

In unser Haus sind zwei Personen eingezogen, nachdem das Hochwasser im Sommer ihr Haus am Bach vernichtet hat. Rache ist fischig. Wenn der Fluss über das Ufer tritt, um das Haus zu unterspülen, sodass sogar der Estrich und die Wandfliesen raus müssen, kann man sich in seiner blinden Wut an den Fischen rächen. Die sind im Bach, die sind an der Überschwemmung Schuld. Die werden jetzt alle gegessen.

Eine der beiden neuen Bewohner bei uns hatte letzte Woche Geburtstag, sie wurde achtzig und feierte mit einer Torte aus Buttercreme. Oben auf der 20 cm hohen Torte im DIN A3-Format klebte Esspapier, mit einem Foto bedruckt. Ilse, lachend in einem sommerlichen Garten. Unsere Ilse, Stolze 80 stand da. Ich bekam ein Stück, denn die ganze Torte wäre zu viel für zwei und zu schade zum Wegwerfen, wir haben den Krieg erlebt. Ja, denke, ich, eine Großfamilie im Schutzkeller wäre froh über fünf Pakete Butter und zwei Kilo Zucker, ich schneide Ihnen ein Stück ab, so das Geburtstagskind.


Sie schnitt sich auf ihrem Esspapier selbst in den Arm, ich schaute mir die verrutschten Buchstaben an. Und ich biss in den Arm, der nach Butter und Zucker schmeckte, wünschte alles Gute zum Geburtstag.


Heute nun der Fischgeruch. Gibt es Seelachs in unseren Flüssen?

Es gibt Flusskrebse, wie ich auf Facebook gesehen habe. Hurra, der Bach ist sauber, steht da unter dem Foto. Nun ja. Sind Flusskrebse nicht die invasive Art, die ein Student aus dem Saarland mal von einer Insektenbörse heimgebracht hat, und da sie sich ständig vermehrt, jetzt immer weiter verschenkt?


Millionen Flusskrebse haben sich inzwischen in unseren Binnengewässern angesiedelt, soweit ich weiß, brauchen sie zur Fortpflanzung nur sich selbst.

Wenn man etwas für die Umwelt tun möchte, sollte man also Flusskrebse essen, um den Bestand wieder zu reduzieren. Ich stelle mir vor, wie meine Mitbewohner Gummistiefeln anziehen, mit einem Kescher durch den Bach waten und unter dem letzten Vollmond des Jahres Krebse fangen.


Hier nur Ausgang. Eingang an der anderen Seite, steht auf dem Schild. Ich gehe die Treppe wieder runter, um das Gebäude herum und die andere Treppe wieder hoch. Für Anmeldung, bitte andere Seite benutzen, steht da. Für Polizei oder Verwaltung klingeln. Ich klingle. Es passiert nichts.

Dann geht im Flur eine Tür auf, wie ich durch das Fenster in der Eingangstür sehen kann, eine Person kommt langsam auf mich zu. Die Tür wird geöffnet. Ich hätte gerne gelbe Säcke, sage ich, versuche, die Augenringe meines Gegenübers nicht anzustarren. Die Tür geht wieder zu, die Person verschwindet, kommt nach einer Weile mit zwei Rollen wieder.

Frohe Festtage, sagt sie hinter ihrer Maske.

Für Sie auch, verabschiede ich mich, gehe mit meiner Beute zum integrativen Laden, wo Kerzen verkauft werden, die psychisch kranke Patienten hergestellt haben. Ich kaufe eine Draußenkerze, die tagelang brennt, und Printen. Sie hätten die Geheimrezeptur der Aachener Printen geknackt, so der Verkäufer.

Bist du sicher, dass keine Rasierklingen drin sind? wird meine Freundin Agathe mich später fragen, als ich ihr erzähle, wo ich sie gekauft habe. Sie wird das Paket prüfend gegen das Licht halten.


Der Weihnachtsmarkt in Aachen ist von Holländern überflutet. In den Niederlanden herrscht ab sofort ein harter Lockdown, es ist die Woche vor Weihnachten. Sie haben heute das Wort des Jahres gekürt: Prikspijt.

Prik ist Piks, spijt ist Bedauern. Man bedauert, dass man sich hat impfen lassen, da es anscheinend gar nichts gebracht hat, die Pandemie wütet wie nie zuvor.


In flämischen Teil Belgiens hat man ein anderes Wort des Jahres gewählt: Knaldrang. Anders als in Deutschland heißt knallen nicht Feuerwerk anzünden, jemanden verletzen oder mit jemandem schlafen, es heißt vor allem ausgelassen feiern. Und drang verweist auf die dringende Notwendigkeit, dies zu tun. Also ein starkes Bedürfnis abzurocken.


Bald ist Weihnachten. Da sitze ich dann, mit einem Knaldrang unterm Baum. Welche Geschenke ich mir überlegt habe?

Wie wär es mit nachhaltigen, geruchlosen Fischstäbchen aus Flusskrebsen? Natürlich in Kombination mit einer Erlebnistour, Krebse fangen unterm Vollmond. In der Hand eine Kerze, die tagelang brennt. Im Rucksack gelbe Säcke, zwei Rollen pro Person.

Ich bin am Abrocken. Hier sagt man nach einigen Gläser Glühwein am ab am rocken, aber das geht mir jetzt zu weit. Heute Nacht werde ich erst mal die Hinweisschilder beim Verwaltungsgebäude abschrauben, bitte andere Seite benutzen. Außerdem werde ich ein anderes Wort des Jahres suchen und versuchen, mich ohne Hilfe fortzupflanzen.

Ich werde Printen mit Rasierklingen nach Geheimrezeptur backen.


Bald ist Weihnachten.

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