Ich traf sie in der Speicherstadt, reif und goldgelb, sie lagen im offenen Fenster in einem Korb. Saftig und süß, nicht zu weich, nicht zu hart, einfach perfekt. Zum Verschenken.
Der lateinische Name ist Musa, Carl von Linné war offensichtlich in einer guten Laune, als er sich für diesen Namen entschieden hat. Vielleicht war der Botaniker verliebt oder wenigstens stark inspiriert, als er der gelben krummen Frucht diesen schönen Namen verpasste.
Die Mütter der 70er-Jahre quetschten Bananen für ihre Babys. Falls sie welche zur Verfügung hatten, in der DDR gab es zum Beispiel keine. Sie wurden zu einem Symbol des Westens, ein Symbol der Sehnsucht. Und jetzt? In jedem Supermarkt linsen sie einem entgegen, kein Mensch verknüpft eine Musa mit Sehnsucht. Mein Vater meidet sie insgesamt, er hat als Jugendlicher einige Kisten zu viel davon löschen müssen auf einem regnerischen Kai in Antwerpen.
Magst du sie? so frage ich eine Sportlerin in Funktionssachen, als sie eine Staude durch die Rindermarkthalle trägt. Sie hat eine atmungsaktive Jacke an, -30 Grad steht auf der Schulter. Sie geht durch die Halle, perfekt gestylt, die Staude leicht über der linken Hand drapiert, die Hose farblich mit der Jacke und den Schuhen abgestimmt. Ich frage mich, wozu diese professionelle Ausrüstung? Gewappnet für Wind und Wetter, für Unwetter, für El Capitán. Das ist der Kletterfels im Yosemite-Nationalpark, Kalifornien, der herrliche Steilwände hat, wie the Nose. In den 60-Jahren hat man den Hang schon bestiegen, mit Bohrhaken und vielem Material, später wurde er auch frei bestiegen, ohne in den Fels zu bohren, und ein neuer Trend ist das “speed-Klettern”, wobei die Zeit über den Erfolg entscheidet. Der Rekord liegt bei knapp unter zwei Stunden, wo erfahrene Seilschaften normalerweise 4 Tage brauchen. Wo ist der Einstieg ins Abenteuer? Was verpasse ich gerade?
Es ist eine einfache, saubere Frucht, sagt die Sportlerin, als Verpflegung beim Marathon nicht optimal, aber ok, in kleinen Stücken. Sie tropft nicht, man kann sie essen, ohne Flecken zu machen, man kann die Pelle schnell entsorgen. Man kann sie beim Fahren essen und im Büro. Schon verschwindet sie mit ihrem Fang durch die Seitentür, der hohe Zopf schwingt hinterher. Ich stehe dort und überlege. Heißt das jetzt, sie ist lecker? Und seit wann muss Obst sauber sein und einfach?
Gut, ich kaufe auch zwei, schließlich bin ich in der Hauptbananenstadt Deutschlands. Vielleicht entdecke ich noch etwas besonderes an der Frucht, über das ich berichten kann. Vielleicht war ich immer zu streng, hat sie mehr zu bieten, als ich denke. Ich werde sie mir später mal richtig anschauen. Sie muss nach EU-Recht übrigens mindestens 14 cm lang sein. Reicht das?
Die grünen Früchte werden in Kühlschiffen in 2 Wochen über den Ozean gebracht, bei einer Temperatur von 12-14 Grad, die Belüftung ist diffizil. Es ist um einiges komplizierter als totes Fleisch tiefgekühlt zu transportieren, aber machbar. Sie kommen im Hafen an, werden zur Reiferei gebracht, zum Beispiel bei Seevetal, dort werden sie ausgepackt, mit Ethylen besprüht, nach einigen Tagen sind sie gelb und schön genug für den Supermarkt. Wir werden sehen.
Während ich so sinnierend von der Rindermarkthalle zur Schlachthofpassage gehe, mit meinem Fang in der Hand, sehe ich plötzlich einen Igel an der Wand gesprüht, in schwarzer Farbe, Seitenansicht, ich kenne das Design. Die Farbe ist frisch, ich brauche nicht einmal daran zu riechen. Etwas weiter läuft der Typ in Kapuzenpulli, er biegt gerade um die Ecke, ich erkenne seinen Gang und weiß inzwischen, dass er der Künstler ist. Hat er auch ein HVV Tagesticket? Folgt er mir? Ich laufe schnell hinterher, will ihn fragen, wer er ist, was das soll mit dem Igel, und ob er eine Zeichnung für mein Buch machen könnte. Gut, er folgt mir nicht, ich folge ihm.
Gerade wenn ich denke, dass ich ihn verloren habe, steht er dort in einem Häusereingang in der Susannenstraße mit dem Rücken gegen der Tür. Ein Auge ist heller als das andere. Sein Oberlippenbart erinnert mich an meinen ersten Freund, als ich 15 war. Er war 19, konnte gut küssen und hatte ein Motorrad. Die Musik, das Feuer, der Regen, die Schlaglöcher, sagt der Künstler, er sieht mich an und fügt hinzu: wenn die Intellektualisierung nicht mehr greift, sind die wesentlichen Abwehrmechanismen beim Narzissmus die Idealisierung und die Entwertung, man sieht die Welt schwarz-weiß. Aha. Hier steht also ein Intellektueller.
Ob er einen Igel für mich zeichnen würde? In mein Buch? Er sieht mich nachdenklich an, nimmt mir die Bananen aus der Hand, holt einen Stift aus seiner Tasche und schreibt auf die eine schwarz und auf die andere weiß. Er nickt kurz und geht hinein, die Tür fällt hinter ihm zu. Ich bleibe auf der Straße zurück, ich könnte tanzen. Ich laufe stolz mit den beiden gelben Früchten durch das Schanzenviertel, mit dem Gefühl, etwas großartiges erlebt zu haben. Ich gehe durch den Park Richtung Dammtor, überlege, ins Museum zu fahren, um meine frisch erworbenen Kunstobjekte jemandem dort zu zeigen. Vielleicht kann ich mit Alexander darüber sprechen.
Nie hatte ich eine besonders große Achtung vor der Musa, sogar die von Warhol ist, nun ja, sagen wir gewöhnlich, aber jetzt ist es anders. Ich habe gerade gesehen, wie ein Kunstwerk entsteht, ich war dabei. Eine bestimmte Welle war ganz klar zu spüren. Der Igel-Künstler hat zwei verschiedene Augen, eine gute Stimme, er spricht mit mir, fordert mich heraus. Bewegt sich schnell und geräuschlos durch die Stadt, etwas, was ich total anziehend finde. Er hat mir gerade ein Kunstwerk geschenkt und ich weiß, wo er wohnt.
Die Sonne steht tief, die Stadt hüllt sich in ein warmes Licht, im Park leuchten die kahlen Winterbäume auf. Wenn ich in der Nähe des Tropengewächshauses bin, raschelt etwas im trockenen Laub. Das muss ein Igel sein, so denke ich, ohne nachzuschauen, ich möchte keine fette Ratte, die meine süßen Überlegungen mit ihren hektischen Hoppelschritten durchkreuzt. Schnell gucke ich zur anderen Seite und gehe weiter, leicht, verliebt. Ich überquere die Brücke in den Bahnhof hinein, und da bin ich mir sicher. Hier ist einfach alles, ich habe es in der Hand. Kunst. Ein Tagesticket. Alles, was ich brauche, um glücklich zu sein.
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