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Ein gutes Jahr

Ich sitze in der Regionalbahn Richtung Köln, hoffe, dass ich den Anschluss nach Hamburg bekomme. Morgen halte ich an der Uni einen Vortrag über die Tätigkeit als Stadtschreiberin. Frau Prof. Dr. Gutjahr hat mich eingeladen. Heimlich hoffe ich, dass die Frau Professorin ihren Namen schon als Mädchen hatte, er ist perfekt. Aber ich würde es auch verstehen, wenn sie ihn später erworben hat, das würde ich auch tun. Gutjahr.

Ich sitze in der Bahn Richtung Hamburg, die Landschaft ist schon viel flacher hier. Bei mir im Abteil sitzen 2 junge Frauen, die eine ist Gladbach-Fan mit Tätowierungen auf den Unterarmen und die andere hat einen Mops dabei. Man sollte nicht glauben, die Hündin kriege schwer Luft, auch wenn die Nase so eingedrückt scheint, so Frauchen. Sie ist topfit, nimmt sogar immer wieder mal am Mops-Rennen in Köln teil. Die Strecke ist 50 Meter, die Möpse rasen nur so dahin, es scheint ihnen richtig Freude zu machen. Keine Spur von Atemproblemen oder zu kurzen Beinen.

Der Trend geht zum Mops, aber man versucht, wieder ein Tier mit einer etwas längeren Nase und längeren Beinen zu züchten. Eine komplett eingedellte Schnauze wäre so early 2000. Aber ein Mops hat nun mal tiefe Falten auf der Nase, da geht kein Weg dran vorbei. Mann muss sie gründlich reinigen, dort sammelt sich eine ganze Menge Zeugs drin.

Anderthalb Stunden vor Hamburg ist die Landschaft weit, flach und grau. Die einzelnen Bäume stehen still und tragen die milchige Luft. Die Häuser sind aus rotem Backstein, wir kommen an einem Friedhof vorbei, der Mops schläft. Nicht einmal ein Schnarchen oder Röcheln ist zu hören. Ein Nadelwald jetzt, die schmalen Bäume lehnen alle in die gleiche Richtung.

Ich bin in den 90-ern mal mit dem Zug durch Spanien gefahren. Das war eine sehr lange, laute und heiße Fahrt. Die Menschen um mich herum haben ohne Unterbrechung mit den Fächern gewedelt, Wein getrunken, geredet, gelacht, laut und ausgelassen. Sie hatten nicht nur Getränke, sondern auch Essen dabei und haben jedes Mal, wenn sie etwas aus der Tasche geholt haben, es den anderen angeboten. Das Essen in Spanien wurde lauthals geteilt und durch das ganze Abteil angeboten. Bald roch der Zug nach Knoblauch und Wein.

Hier in diesem Abteil sagt keiner etwas, nur Amy, die Hündin, schnauft jetzt leise, es ist ihr wahrscheinlich zu warm, denn das Fenster lässt sich nicht öffnen. Plötzlich hält der Zug an, ich habe noch nie von diesem Dorf gehört, Eddy der Zugführer meint über die Durchsage, wir bleiben hier jetzt mal eine halbe Stunde stehen, wir können gerne rauchen gehen, der Bahnhof wäre allerdings lächerlich klein, nur einen Zeitungsladen gäbe es dort, er lohne sich nicht. Am Bahnhofsausgang wäre ein Bäcker, dort bekomme man Kaffee.

Die Toiletten sind mit einem Zifferschloss versehen, der Bäcker gibt mir den Code.

Ich stehe im Laden, esse ein Brötchen, der Espresso ist kalt, weil die Tasse kalt war. Amy ist auch hier, sie sitzt draußen im Nieselregen und wartet. Nun ja, etwas nervös sind wir schon, wir Reisende. Der Zug steht dort so einfach herum, was passiert, wenn er doch früher wieder losfährt? Hier im unbekannten Dorf an Bahnhof mit Zeitungshändler und Bäcker will man nicht stranden, auch nicht mit süßem Mops.

Eine halbe Stunde vor Hamburg wird die Landschaft silbrig grau mit fahlgrünen und schlammbraunen Akzenten, ich sehe leuchtende Birken, großen nassen Flächen, Nadelbäume, Nebelfelder. Irgendwo fließt die Weser durch diese Sumpflandschaft. Der ideale Ort um Bücher zu schreiben. Hier sollte man mindestens ein Jahr verbringen, ein gutes Jahr. Den Wandel der Jahreszeiten beobachten, die Luft. Den Wind, den Raum, die Gräser, die Weite. Die Bäume mit den skurrilen Formen, die in Grüppchen zusammen stehen. Die Pappeln in einer Reihe, die sich stumm nach Osten biegen. Die Vögel, die schnelle Striche gegen den Nachmittagshimmel malen.

Ich komme in Hamburg an, am nächsten Tag habe ich die Lesung in der Universität. Die Vorlesung ist gut besucht, es sitzen Studenten auf den Treppen in der Mitte, alle Sitze sind belegt. Nicht nur von jungen Leuten, die Germanistik studieren, auch viele ältere Jahrgänge sind hier, Frau Prof. Dr. Gutjahr hat eine feste Fangemeinde, so hat ihre Mitarbeiterin mir versichert. Ich komme in den Hörsaal, gehe zum Rednerpult und setze mich an der Seite der Professorin, die gerade ihre Vorlesung beendet. Es geht um die Entstehungsgeschichte der Hamburger Schauspielhäuser, der ganze Saal hört gebannt zu.

Wenn sie im Anschluss mich interviewt, fühle ich mich einfach dort, wo ich sein möchte. Sie hat eine ruhige, souveräne und sehr sympathische Art, ich fühle mich willkommen und die Energie im Saal ist gut.

Hier ist eine Person, die weiß, was sie tut und sie tut es auch gerne.

Was ich von meiner Tätigkeit als Stadtschreiberin erzähle, wird von den Zuhörern aufmerksam aufgenommen, sie stellen gute, gezielte Fragen und freuen sich über die Texte, die ich vorlese. Ich merke sofort, dass hier junge Leute sitzen, die Atmosphäre ist locker, lustig und neugierig. Nach der Vorlesung möchte die Professorin noch einen Tee mit mir trinken, aber das Café hat schon zu, hier gibt es nach 18:00 nichts mehr, da ist es wieder, das Phänomen mit der Gastronomie in Hamburg.

Ob ich denn noch mal nach Hamburg wiederkommen werde? Ja, klar. Ganz bald schon. Es gibt noch eine Menge zu entdecken, diese Stadt wird mich nicht mehr los. Wir verabreden uns, ich werde mich bei meinem nächsten Besuch einfach bei ihr melden. Nachdem sie in die S-Bahn am Dammtor verschwunden ist, bleibt ein Funken ihrer Energie noch eine ganze Weile bei mir. Eine wunderbare Person.

Am nächsten Tag bevor ich den Zug Richtung Aachen wieder nehme, gehe ich durch die Fischbeker Heide. Die Sonne scheint, es ist sehr kalt, die Birken leuchten silbrig auf, das Moos ist tiefgrün, ich atme durch, keine Weihnachtsmusik, kein Glühwein, einfach nur Weite und Winterlicht.

Hier möchte ich in einer Hütte wohnen, mit einem Kamin und einem großen Fenster ohne Gardinen, mit klarem Blick auf die Wolken, die Welt. Mit einem großen, leeren Schreibtisch aus altem Holz. Ich würde an dem Schreibtisch die Geschichten über Hamburg weiterschreiben, vielleicht würde ich sogar ein Buch schreiben, wie die Studenten mich gefragt haben, ja, ein Buch ist eine Idee.

Hier würde ich meinen Namen an die Tür schreiben, andächtig, in schöner Schrift.

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