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Äpfel klauen

Ich war im Theaterstück “Tschüssikowski”. Ich bin dahin mit dem Fahrrad, in einem heftigen Regenschauer über den Kiez, mit Gummistiefeln und einem Regenmantel an. In der Garderobe des Schmidt-Theaters konnte ich mich umziehen.

Ich weiß, der Titel hört sich total bescheuert an.

Aber das Stück war richtig gut. Es fing auch im strömenden Regen an, ich dachte kurz, ich sollte wieder meine Gummistiefel anziehen.

Das Thema des Stückes ist einfach, die Umsetzung von höchster Professionalität. Die Musik macht richtig gute Laune, die Tänzer sind sexy und das Spiel schnell, die Schauspieler haben mehrmals die Rollen gewechselt und sind völlig überzeugend in immer anderen Outfits gekommen, sie wurden sogar zum Tier auf der Bühne.

Man fühlt sich als Publikum ernst genommen, wenn die höchste Qualität geboten wird, wenn jeder mitten in diesem rasanten Stück voll dabei sein kann.

Da ich nie so richtig verstehe, wie das mit der Musik und den Texten, mit dem Licht und den Nebelschwaden alles so klappt, bin ich hochgegangen und habe bei den Technikern geschaut, ob sie alles im Griff haben. Hier entsteht die Magie!

Licht, Klang, alle Mikros perfekt eingestellt. Alles ist auf die Sekunde getaktet, es lief perfekt. Ich denke, dies wäre nicht mein Job, all diese Anzeigen, Knöpfe und Schieber, ich habe höchsten Respekt für diese Künstler.

Am nächsten Morgen treffe ich Kai, einen Arbeitskollegen, der es endlich geschafft hat, Hamburg zu besuchen. Mit ihm ziehe ich durch die Schanze, ich erzähle jetzt nicht in welchen Kaffeehäusern wir waren, denn so langsam reicht es mit dem Kaffee, nur das: wir zitterten nach unserer Runde.

Kai meinte, ich sollte unbedingt einige Kiez-Führungen machen, er hätte Sachen erfahren, die hat er nicht für möglich gehalten.

Ja, das finde ich eine gute Idee. Wenn man eine Stadtführung macht, lernt man einiges dazu. Meine erste Stadtführung kam heute zufällig. Ich treffe mich mit Liv und Zoe, zwei Schülerinnen, die als Schulprojekt “die Stadtschreiberin” haben, auf dem Rathausplatz. Im Rathaus kann man nicht wirklich herumlaufen heute, denn es gibt dort eine Veranstaltung. Von der Körber-Stiftung. Keiner kann uns hier jedoch sagen, was die Körber-Stiftung genau ist (ja, die sagt mir schon irgendwas…) und warum die mit ihrer Preisausreichung das ganze Rathaus in Beschlag nimmt.

Also: der Körber-Preis gilt als einer der höchstdotierten Wissenschaftspreise der Welt: Bernhard Schölkopf hat ihn in Hamburg bekommen – eine Million Euro. Er ist aus Tübingen, ist Physiker, Mathematiker und Informatiker, forscht gerade zur künstlichen Intelligenz.

1959 hat Kurt A. Körber diese Stiftung ins Leben gerufen.

Die haben also Jubiläum dieses Jahr.

Wir laufen über den Platz und Tilman fragt, ob wir bei der Stadtführung mitmachen. Das tun wir. Ich werde nicht den ganzen Spaziergang beschreiben, fragen Sie Tilman, er kennt sich unglaublich gut aus, aber eins hat mich umgehauen. Es gibt Ebbe und Flut in Hamburg. Die Hanseaten verdrehen jetzt die Augen und schütteln den Kopf über so viel Ignoranz, aber das hatte ich bis jetzt nicht gemerkt. Heute um 12:14 war Niedrigwasser, es entsteht ein Wattenmeer mitten in der Stadt. Bei Hochwasser kann man auf einer Terrasse am Wasser sitzen und die Wellen im Wind beobachten.

Es ist ein sonniger Septembertag, die Alsterfontäne zeigt ihren schönsten Regenbogen, die Leute sitzen leichtbekleidet auf den Stufen und gucken übers Wasser. Ich sage nicht Tschüssikowski, ich sage, hier bleibe ich. Hier mache ich Urlaub. Jeden Tag, zwischen den Terminen durch. Hier ist die frische Luft, hier sind die rauschenden Bäumen, die Wassertropfen in Regenbogenfarben. Hier kann man segeln wie in Zürich, flanieren wie in Wien, man bekommt keine Schokolade wie in Brüssel. Hier ist Café Paris, mit feschen Kellnern. Hier gibt es sympathische Polizisten, die sich mit der Polizeikapelle vor dem Rathaus hinstellen und ein Ständchen geben.

Und wenn man Urlaub machen möchte, weg aus dem Trubel? Dann ab ins Alte Land. Mit dem Fahrrad, Äpfel pflücken. Wenn es ein schönes Altweiberwochenende ist und ab Freitagmittag der Hauptbahnhof ganze Gruppen herausschickt, die die gleichen Shirts anhaben. Hütchen auf oder Glitzerherzchen auf der Backe. Wenn immer mehr Junggesellen durch die Innenstadt ziehen, um sich von ihrer sorgenfreien Jugend zu verabschieden und man schon weiß, es wird nicht schöner heute.

Wenn die Cruise Days Schiffe anlocken, die die Luft verändern, so dass man denkt, man sitzt im Schmidt, und der Bühnentechniker Frank schmeißt die Nebelanlage an. Dann sollte man Urlaub machen im Alten Land. Man kann dort auch die Containerschiffe beobachten, die über die Elbe fahren. Die Kreuzfahrtschiffe. Äpfel essen in der Septembersonne.

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