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Ich entdecke Harburg. Dieser Ort hat mich gleich verzückt. Grundsätzlich bin ich Neuem gegenüber eher skeptisch. Nicht weil, ich voreingenommen oder misanthropisch bin, nein mich bestimmt meist die Angst. Während andere sich mit Freuden in jedes noch so gewagte Abenteuer stürzen, sehe ich immer den Weg dahinter. Den traue ich mir meistens nicht zu. Bei Harburg hatte ich aber gleich das Gefühl, das könnte passen. Der ältere Herr zeigte mir wirklich freundlich den Weg, wenn er mit mir ungeduldig war, konnte er es zumindest gut verbergen. Ich entdecke Harburg zu Fuß. Hier komme ich plötzlich am Soldatenfriedhof vorbei. Als studierte Historikerin habe ich einen ziemlichen Knall wenn es um historische Orte geht. Sie ziehen mich überall auf der Welt in ihren Bann. Ich finde, um verstehen zu können wer irgendwo lebt muss man auch wissen, wer hier begraben liegt. Außerdem haben Friedhofe und ich seit einiger Zeit eine besondere Beziehung. Mein Vater starb vor ein paar Jahren. Ich mag es nicht wenn man mit zu viel persönlichen Informationen hausieren geht, insbesondere wenn man sich gar nicht kennt, deshalb spare ich diese hier bewusst aus (...). Nur soviel vielleicht, mein Vater starb völlig überraschend. Ich hatte wenig Zeit und noch weniger Geld für seine Beerdigung zur Verfügung. Das Bestattungsunternehmen riet mir zu einer anonymen Beerdigung. Diese Option ist in der Tat wesentlich kostensparender und ich wählte sie nach langem Überlegen schließlich aus. Heute bereue ich das zutiefst. Es mag manchen Menschen nicht wichtig sein einen festen Ort zu haben, von dem sie wissen, dass ihr Angehöriger hier liegt. Für mich ist jedoch das Gegenteil, nicht zu wissen wo mein Vater beerdigt wurde, einfach nur quälend. Ich schäme mich für meine Entscheidung von damals. Einen Menschen im Tode der Anonymität zu übergeben kommt mir falsch vor. Ich komme aus Bayern. Hier wie vielerorts, wird an jedem ersten November den Toten zu Allerheiligen gedacht. Schon Wochen im Voraus bereiten sich Blumenhändler vor. Die verschiedenen Volkshochschulen bieten spätestens ab April Kurse zum selbst Gestalten von Grabschmuck an. Als ich jünger war, spottete ich so manches mal darüber und konnte mir die Assoziation mit dem Valentinstag und der Grußkartenmaffia, nur eben in der anderen Emotionsrichtung nicht verkneifen. Heute denke ich anders. Jede Emotion hat doch ihre Berechtigung, so auch die Trauer. Wie der Mensch damit umgeht, ist doch verdammt noch mal seine oder ihre Sache! Vielleicht ziehen Friedhöfe mich deshalb so an. Ich bleibe an fremden Gräbern stehen, denke an die Menschen die hier begraben liegen und deren Angehörige und wünsche mir auch so einen Ort für meinen Vater.


Ich habe schon den Friedhof Ohlsdorf besucht. Natürlich wollte ich auch das Grab von Helmut Schmidt finden. Haben Helmut Schmidt und ich doch das eine oder andere gemeinsam: Auch ich trage mein aschblondes Haar meist streng gescheitelt und genieße gesunde Biogetränke wie Cola und Limonade in rauen Mengen. Nach einiger Zeit fand ich seine Grabstätte, auf dem Weg dorthin kam ich an unzähligen fremden Gräbern vorbei. Es soll hier aber nicht um den Friedhof Ohlsdorf gehen. (Das ist vielleicht eine eigene Geschichte). Als ich auf dem Weg zurück in mein neues Zuhause im Schanzenviertel war, setzte sich mir in der U-Bahn/Hochbahn ein Mann schräg gegenüber. Natürlich habe ich ihn betrachtet. Er hatte einen Button am Rucksack auf dem zu lesen war: Nur ein toter Ausländer ist ein guter Ausländer. Mich schüttelte es. In München habe ich die Ausbildung zur Rundgangsleiterin in der Gedenkstätte in Dachau gemacht. Dort wurde uns gelehrt auf solche Embleme des Hasses zu achten. Manche Menschen wissen nicht, dass viele Gedenkstätten auch Friedhöfe sind, da hier sterbliche Überreste liegen. Ich finde dies sollte man immer ein wenig im Hinterkopf haben, wenn man einen solchen Ort betritt und vor hat sich daneben zu benehmen.


Beim nächsten Mal in Harburg betrete ich also den Soldatenfriedhof. Seine Geschichte ist schnell ergoogelt. Ich lese etwas von zunehmendem Vandalismus und einem Verein der sich um die Pflege und Erhaltung der Gräber kümmert. Es tut gut zu sehen, dass sich jemand für diese Gräber verantwortlich zeigt. Denn auch wenn es einen Menschen physisch auf der Erde nicht mehr gibt, kann man ihn glaube ich nicht mehr bestrafen, als wenn man alles was an ihn erinnert tilgt oder beschädigt. Dies geschieht ja häufig im Krieg. Die siegreiche Partei übernimmt die Kontrolle und alle Zeichen der vorherigen Bewohner und deren Kultur werden auslöscht. Ich stellte mir schon oft die Frage warum es keine Förderung vom Staat für die würdevolle Bestattung von Angehörigen gibt. Zahlt der Staat bedeutet das automatisch: anonyme Bestattung, wenig finanzielle Mittel zeigen sich eben auch in der Art wie man unter die Erde kommt. Friedhöfe gehen uns alle an! Gemäß der deutschen Verpflichtung der Bestattung enden wir alle einmal dort, dennoch versuchen wir diese Tatsache so gut es geht zu verdrängen, bis sie einfach nicht mehr zu verdrängen ist. Ich habe einmal einen Bericht aus Manila gesehen. Die Menschen leben dort teilweise auf Friedhöfen, direkt neben den Gräbern ihrer Verstorbenen. Eigentlich eine sehr tröstliche Vorstellung auch als Toter noch einen Platz im Leben seiner Familie zu haben. Freilich sind die Menschen in Manila sehr arm und das Wohnen auf dem Friedhof ist oft die letzte Zuflucht. Dennoch, so denke ich, hält sie die Einsamkeit nicht so sehr im Würgegriff wie unsereins hierzulande.


An einem sehr regnerischen Tag warte ich auf den Bus am Harburger Rathaus. Eine ältere Dame spricht mich an. Der Bus und Bus kommt und kommt nicht. Inzwischen weiß ich, dass sie zwei neue Hüftgelenke hat, Susi heißt und ihr Nachbar kürzlich verstorben ist. Susi war auf seiner Beerdigung. Sie sagt, dass sie sich bis zuletzt um ihn gekümmert habe. Sonst hatte er niemanden und sie nun auch nicht mehr. Ich merke, es gibt sie auch hier, die Menschen, die immer ein wenig nach Klebeband riechen, weil ihre Traurigkeit einen Weg durch die Haut nach außen sucht. Mit Susi unterhalte ich mich wirklich gut und als der Bus schließlich kommt setzt sie sich wie eine alte Bekannte neben mich und tätschelt meine Schulter. Als ich aussteige, fragt sie mich nach meiner Nummer. Wir könnten doch mal eine schöne Tasse Kaffee zusammen trinken. Entgegen der Tendenz nicht freizügig mit der eigenen Handynummer umzugehen gebe ich sie Susi. Warum ich das getan habe? Manch einer mag mir das als Ausdruck einer sozialen Angepasstheit auslegen und dass ich die ältere Dame nicht vor den Kopf stoßen wollte. Das mag zum Teil stimmen. Andererseits glaube ich an die universelle Gültigkeit von Großstadtregeln. Bushaltestellenbekanntschaften sind so zukunftsträchtig wie die Ehen von Boris Becker. Susi, hat sich bis zur Erstellung dieser Zeilen nicht gemeldet.


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