In Granada habe ich letztes Jahr einen Kurs belegt, Spanisch für Lehrkräfte, die keine Muttersprachler sind. Wenn man Fremdsprachen spricht, muss man immer dranbleiben.
Da ich normalerweise mit der ganzen Familie verreise, und das einiges an Organisation kostet, wollte ich diesmal nichts organisieren. Der Kurs sollte montags anfangen, ich war schon am Freitag angereist.
Ich traf mich mit meiner schottischen Cousine Elfreda in Granada am Flughafen, weil wir uns eine lange Zeit nicht gesehen hatten, und dies eine gute Gelegenheit war. Wir hatten keine Wohnung gebucht, es war die Woche vor Ostern, alles war belegt. Vor allem fanden wir es viel zu anstrengend, über Internet die richtige Art von Unterkunft zu finden in einer fremden Stadt. Beschreibungen sind ungenau, Bewertungen stimmen nicht. Und außerdem, wie soll man zuhause am Laptop wissen, wo genau man in einer andalusischen Stadt übernachten möchte.
Ich fand in einem sozialen Netzwerk einen Belgier, der in den Bergen um Granada Touren organisiert. Thomas. Ob er eine Idee hätte, wo man dort übernachten könnte? Ja klar, hatte er. Nein, Fotos dazu ergäben keinen Sinn, kommt einfach. Er schrieb mir die Adresse, und so standen meine Cousine und ich am Freitagnachmittag in einer fremden spanischen Stadt am Berg. Es wehte ein kräftiger Wind, und in der tiefstehenden Aprilsonne warteten wir auf unseren Bergführer. Ob das jetzt eine gute Idee war?
Wenn das hier eine verqualmte Studentenbude wird, wo wir auf dem Sofa schlafen müssen, suchen wir uns etwas anderes, so versuchten wir uns zu beruhigen.
Ein klappriger Kleintransporter kam mit quietschenden Reifen angefahren, Thomas sprang raus, wir wanderten mit ihm zum Heiligen Berg. Dort oben waren Höhlen, in einer davon wohnte José. Er hatte noch eine weitere Höhle, die er ab und zu vermietete, sie war komplett eingerichtet, zwei Schlafzimmer, ein Badezimmer, ein Wohnzimmer. Eine Terrasse mit einem atemberaubenden Blick über die andalusische Stadt, badend im Abendlicht. Es gab Bier im Kühlschrank, wir setzten uns auf die Terrasse, staunten bis in die Nacht hinein, als kristallklare Sterne sich über den weiten Himmel verbreiteten. Als wir am nächsten Morgen die Tür aufmachten, blieb uns die Sprache weg, so faszinierend zeichnete das Morgenlicht die Umrisse der aufwachenden Stadt in der Tiefe. Die Nebelschwaden verschwanden langsam, die kleinen Geräusche der frühmorgendlichen Zivilisation drängten sich langsam in die Geräusche der Natur um uns herum.
Von den zwei Wochen in Andalusien habe ich gelernt: eine Sprache muss lebendig gehalten werden, das geht nur, wenn man sich auf sie einlässt. Sie aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, dorthin geht, wo sie ursprünglich ist. Ja, nachts gab es dunkle Gestalten, die an der Höhle vorbeigeschlichen sind, es gab Fledermäuse. Der frühe Morgen war kalt, wir klammerten uns an den Espresso. Es regnete oft und die Füße wurden auf dem Weg zur Schule nass und kalt, das Wasser läuft dort nur mühsam ab. Ich verstand nicht alles im Unterricht. Ich habe die Alhambra vier Mal besucht, aber kein einziges Mal mit Sonne. Die braucht man, damit der arabische Palast richtig zum erstrahlen kommt.
Die Alhambra wurde für heißes Wetter gebaut, überall läuft frisches Wasser, das aus der Sierra Nevada durch verschiedene Kanäle bis in den Palast geleitet wird. Man kann die schneebedeckten Gipfel in der Ferne leuchten sehen. Es gibt angenehm schattige Gänge, kühle Innenhöfe und lauschige Gärten, sogar im heißesten Sommer ist der ganze Palast herrlich frisch. Auf einer von den Touren wurde mir dort im Regen so kalt, dass ich mich zitternd an einen Argentinier klammern musste, um es überhaupt auszuhalten. Er sah sehr gut aus, musste jedoch am nächsten Morgen leider schon wieder zum Flughafen.
Der Weg ist oft nicht einfach, keiner weiß, wo er hinführt, was die Zukunft bringt. Auch wenn es so aussieht, als wäre man auf einer wackligen Hängebrücke, oder als liefe man im Kreis, muss man seinen Weg weitergehen. Bereit sein für das, was man will. Und wenn man hinfällt? Aufstehen, weiter gehen. Wenn das Feuer ausgeht? Die Glut behalten.
Wir haben die White Heather gekauft, so André an diesem verregneten Samstag, fast ein Jahr später in Deutschland. Sie wurde 1909 gebaut und 1921 umgetauft, sie heißt jetzt Varuna. Das ist die Indische Göttin der Gewässer und Meere. André hat zusammen mit Michael dieses phantastische Schiff erworben und von Spanien nach Hamburg gebracht. Es wurde nach dem 12M international rule gebaut, wird gerade restauriert. Ein Firstliner, sagt er stolz. Ich sehe mir die Bilder an, kann die Begeisterung verstehen. An diesem Schiff stimmt alles, es ist eine kleinere Nachbildung der Rennyacht Britannia, die vom damaligen Prince of Wales Albert Eduard im Jahre 1892 gebaut wurde.
König Henry V. erbte die Britannia von seinem Vater, er veranlasste den Umbau zu einer wettbewerbsfähigen Yacht für die Segelsaison 1922. Sie erfüllte alle Erwartungen und gewann 23 von 26 Wettfahrten.
Henry V hatte sie so geliebt, dass er verbot, sie nach seinem Tod zu verkaufen oder abzuwracken. So wurde sie am 10. Juli 1936 in der tiefsten Stelle des Ärmelkanals versenkt, so bald der Monarch tot war. Wie dumm muss man sein. Jetzt würde man alles dafür geben, noch mal eine Fahrt mit diesem legendären Schiff machen zu können.
Ich kenne André. Die Varuna findet nach und nach zu ihrer unverwechselbaren Schönheit zurück. Sie wird nicht versenkt, nie. Bald wird sie durch unsere nördlichen Gewässer segeln, sorgfältig restauriert. Behalten Sie das im Auge, so eine Möglichkeit bekommen Sie nicht jeden Tag. In etwa einem Jahr werden Sie auf diesem unfassbar schönen Schiff fahren können. Die begeisterten Eigentümer machen sie wieder einsatzbereit, sie werden Fahrten damit anbieten.
Ich sehe André an. Seine Augen leuchten. Ich besuche sie vor der Arbeit, sehe zu, wie die Restauration voran geht, und nach der Arbeit gucke ich noch mal kurz in die Halle rein. Sage ihr gute Nacht. In Hamburg.
Gute Nacht, so wünsche ich meine Cousine in Sacromonte, als wir die Jäger beobachten, wie sie schnell und leise durch die Schatten huschen. Als wir die Kräuter riechen, deren Duft durch die Abenddämmerung zieht. Wird nur das extrahierte Harz der weiblichen Pflanzen verwendet, spricht man von Haschisch. Verwendet man allerdings die harzhaltigen getrockneten Blütentrauben und blütennahen Blätter als Ganzes, wird von Marihuana gesprochen, so Wikipedia.
Wir sehen, wie die Wolkenschleier vor den dünnen Sichelmond segeln, wie die Sterne leuchten, hell und klar nach dem Regen. Die andere Britannia, die Motoryacht der Queen aus 1953 liegt bei uns in Edinburgh, im Hafen, sinniert Elfreda. Die kann man dort besuchen. Aber das interessiert uns nicht. Wir werden demnächst mit der Varuna raussegeln, die nicht einmal einen Dieselmotor mehr hat. Wir werden über die Wellen gleiten, vielleicht schon im Frühjahr 2021.
Ich ziehe die Decke fester um mich, dort am Berghang. Eine Fledermaus schneidet übermütige Kurven durch den Nachthimmel. In der Ferne höre ich eine Gitarre, eine dunkle Stimme singt ein wehmutiges Lied. Es riecht nach Frühling, es riecht nach Gras.
Ich denke an nichts, und wie sich das anfühlt.
Gute Nacht.
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