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Rotblau

Ich sitze in der Hausbar des Schmidt-Theaters in Sankt Pauli. Der Raum füllt sich mit Gästen, die schon früh hier sitzen, um vor der Vorstellung noch etwas zu trinken. Mary Rose ist der Star und alle sind gekommen, um dabei zu sein, wenn sie ihre letzte Woche auf der Bühne verbringt, obwohl keiner so richtig glauben kann, dass sie damit aufhört. Keiner hat ein Anzug an, kein Abendkleid ist zu sehen. Wo sind die fließenden Stoffe hin, wo ist der Respekt für die Kleidung? Geht man denn nicht ins Schmidt in Anzug? Man geht am Besten einfach in Jogginghose und Turnschuhen, weil man eh keinen kennt hier, die Schauspieler es nicht mitkriegen und man im Kiez ist.

Ist es egal? Kann man sich so besser entspannen und sich zuhause fühlen?

Wieso geht man dann ins Theater?

Ich freue mich, wenn ich einen Mann in Anzug sehe, mit Weste, aus einem guten Stoff, maßgeschneidert. Gute Schuhe. Nicht nur zur Hochzeit. Und was ist schöner als eine Frau in einem gutsitzenden Kleid, dezent aber elegant? Schauen Sie sich Mary Rose an, meinen Sie nicht, auch für sie wäre ein Trainingsanzug bequemer? Aber man wird sie nicht in Turnhose sehen, sie is eine Grande Dame. Sie steht auf der Bühne, singt französische Lieder, ist perfekt angezogen. Zwar nicht dezent, aber ja, elegant und sehr stilvoll.

Die Vorstellung fängt gleich an, die Menschen in der Bar gehen zum Theater, zu ihren Plätzen, dort kann man ja noch weiter essen und trinken. Das ist so ein tolles Gefühl, man bekommt eine großartige Show geboten und kann dabei einen Käse-Igel oder eine Currywurst essen. Bier oder Wein trinken. Geben Sie es zu, das ist was Sie wollen, auch wenn Sie es zuhause nie mehr machen. Sie wollen freundlich angelächelt werden, sich bequem in den Stuhl gleiten lassen, ein Glas Wein bekommen, etwas zum Essen und ganz dabei sein.

Er ist Teil der Magie von diesem Theater, der Käse-Igel. Sie haben es einfach drauf hier. Die Bedienung im Saal ist schnell, sehr professionell und herzerwärmend freundlich.

Ich habe das Stück gestern schon gesehen, jetzt ist es Zeit für einen Ausflug in die Wolken. Clouds heißt die Bar ganz oben im schiefen Turm. Und was für ein Ausblick. Der Tag geht, das letzte Licht nimmt die Farben langsam weg, es wird Nacht. Und dann passiert es. Überall gehen blaue Lichter an. Blue Port, ein Projekt von Michael Batz, Theatermacher, Lichtkünstler. Es sieht magisch aus, es bringt etwas Geheimnisvolles, Bezauberndes in die Stadt. Von dort oben ist es, als würde man mitten in einem Computerspiel sitzen. Ich gucke durch die Glasscheiben der Dachterrasse und staune.

Ich komme ins Gespräch mit Martin, Eduard und Nic. Zwei von ihnen sind aus London, der dritte auch, aber er wohnt in Paris. Sie finden Hamburg großartig, fragen mich, wo sie denn Party machen können. Ja, wo denn? Was suchen sie genau? So richtig deutsch soll es sein, am Liebsten Lederhosen, Beer and Wurst Case Scenario. Wir lachen über diesen schlechten Witz, sie fragen, was ich hier mache. Ich arbeite auf der Reeperbahn.

Sie versprechen, die Stadtschreiberin mal zu googlen. Ich schreibe es ihnen auf, denn versuchen Sie mal einen Londoner dieses Wort aussprechen zu lassen.

Ich gebe ihnen blaues Licht, lasse sie gehen, ab mit euch ins Partyleben. Ich sehe mir von hier oben in den Wolken noch einmal die faszinierende Stadt im surrealistischen Licht an. Langsam bewegt sich der blaue Kran über die Elbe, wie ein Riesenvogel, oder ein Dinosaurier. Die Elbphilharmonie hat einen blauen Rand, auch der Michel hat blaues Licht im Turm.

Jetzt fangen die blauen Lichter an sich schnell durch die Stadt zu bewegen, durch alle Straßen, denn das Fußballspiel Deutschland-Holland ist vorbei.

Ich denke an das kräftige, warme Rot in Schmidts’ Hausbar, und an das kalte, blaue Licht überall in der Stadt. Ich trinke dort oben in den Wolken den Rotwein zu Ende, knöpfe den Mantel zu, stelle den Kragen hoch und fahre von einer Polizeiescorte begleitet ohne Rücklicht durchs Schanzenviertel.

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