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Nicht reden

F

Es ist Sonntagnachmittag, die Geschäfte haben geschlossen, die Straßen scheinen breiter als sonst. Sie haben dazu gewonnen, Raum, Energie, Kraft. Das Wasser liegt ruhig da, es spiegelt die Herbstsonne, die zwischen den Wolken hängt. Die Menschen haben ihre Mäntel an, sie ziehen langsame Kreise durch die Straßen. Eigentlich wollen sie Kastanien sammeln, aber die meisten haben es vergessen. In der Ferne schwebt noch die Erinnerung an die schönen, glatten Früchte. Sie in der Hand halten, sie mit dem Daumen streicheln, die Farbe des Herbstes aufnehmen. Der Duft, der Geschmack von Maronen am Abend, wenn der Nebel kommt. Das Feuer, die Asche.

Die Bäume rauschen, sie haben ihr Laub schon fast verabschiedet.

So bald der erste Herbststurm kommt, werden die Blätter loslegen, sich zu wilden Farbbergen zusammenrotten. Dann werden sie in Banden ungestüm durch die Straßen und Gassen jagen, nicht einzufangen sein. Aber irgendwann werden sie langsamer, immer dünner und knochiger. Stiller. Und wenn die Zeit gekommen ist, halten sie an, ihr filigranes Gerippe leuchtet noch einmal auf, weil es so schön ist. Sie werden zitternd zur Erde zurückkehren, demütig und leise. Sich in Nahrung für die neuen Pflanzen verwandeln. So, wie es gedacht ist.

Langsam wandeln die Menschen weiter, sie bleiben stehen, unterhalten sich miteinander, sie freuen sich über diesen milden Herbsttag. Die Sonne scheint ihnen auf die Haare, man denkt, hier laufen Götter durch die Stadt. Götter mit flammendem Kopf, die Haare voller Licht.

An der Ecke hat ein übermütiger Wirt wieder die Tische und Stühle auf die Straße gestellt, auch wenn der Wetterdienst sagt, es kommt ein Temperatursturz mit Frost und Eis. Kein Stuhl ist frei, die Besucher vereinigen sich im warmen Licht, sie strecken ihr Gesicht der Sonne entgegen, der Kaffee wird kalt. Einige Blätter wirbeln im warmen Wind herum, sie sammeln sich schon unter den Tischen.

Ich sehe dich.

Du sitzt am Wasser, auf einer Bank, du siehst in der Ferne. Du hast eine alte Jeans und einen grauen Pullover an, die Jacke liegt neben dir. Wir sind verabredet, wir wollen durch den Stadtpark gehen, Bäume gucken, Fotos machen, Kastanien sammeln, das Herbstlicht einfangen. Ich lehne mich gegen die Häuserwand und sehe dich. Jetzt ist es 15:00, wir treffen uns, du bist dort. Du sitzt alleine auf einer Bank am Wasser, siehst in der Ferne, so muss es sein. Ich drehe mich um und gehe weg. Du atmest auf, du schaust übers Wasser, die Menschen gehen langsam vorbei, sie drehen ihre Kreise, sie reden, sie lachen, sie sehen wie Götter aus.

M

Ich spüre, dass sie da ist. Sie steht etwas weiter hinter mir, sieht mich, bewegt sich nicht. Kurz ist eine Zögerung in der Luft, einige Blätter wirbeln im warmen Südwestwind, ein Hund bellt, eine Frau, die gerade vorbeiläuft, sieht mich fragend an, ihre Haare haben die Farbe von Kastanien. Sie bleibt stehen, hält das Gesicht in der Sonne, streicht sich die Haare aus dem Gesicht, sie hat Lippenstift auf. Ich spüre, wie auch sie zögert, sie dreht sich halb nach mir um, zuckt fast unmerklich die Schultern und geht weiter. Sie hat eine Laufmasche in der Strumpfhose und Stiefel an.

Wie einfach und schön es jetzt wäre, alt zu werden. In der Nase der ferne Geruch eines Laubfeuers, der auf einem sanften Wind durch die Luft schwebt. Keine Sehnsucht nach der Jugend, nach dem Abenteuer, der Unsicherheit. Kein Versprechen, keine Erwartungen. Schlichte und stille Sehnsucht nach dem Untergang.

Abschließen mit dem, was war.

F

Ich laufe durch die Straßen, weiß nicht, wohin, ich laufe den ganzen Nachmittag. Das Telefon ist aus. Kein Akku. Ich komme zuhause an und gehe in den Garten. Ich sammle einige Äste, gehe in den Schuppen, finde Feuerholz, Bauholz, Schotter, Teile aus der Vergangenheit. Der Feuerkorb braucht eine Weile, es hat vor einigen Tagen geregnet. So bald das Feuer ruhig und gleichmäßig brennt, setze ich mich auf die Treppe der Terrasse, ich sehe mir die Flammen an.

Ich bin nicht zu ihm gegangen. Er hat dort gesessen und übers Wasser gesehen. Er hat gemerkt, wie wir Abstand brauchen, wie wir noch nicht bereit sind. Wir sollten keine Herbstfotos im Park machen, jedes einzelne wäre nur eine falsche Ablichtung dieses Tages. Eine weitere Lüge, eine Verdrehung der Wirklichkeit. Die Dinge müssen erst ihren Platz wiederfinden, so wie sie gedacht sind. Man soll sie nicht festlegen, wenn die Zeit noch nicht reif ist. Man soll keine weiteren Missverständnisse in die Welt setzen. Er hat eine schöne Frau nachgeschaut und sich überlegt, was er will. Ich habe gesehen, dass er frei ist.

Das Feuer brennt ruhig.

M

Ich rieche das Feuer, es sucht seinen Weg durch die Oktobernacht. Ich gehe den Weg entlang, zwischen den Bäumen, auf das Haus zu, ich komme näher und sehe, wie sie dort sitzt, wie ihr Gesicht aufleuchtet. Sie verbrennt Sachen aus der Vergangenheit, ich warte im Schatten neben einem Baum. Ich spüre die Kastanien in meiner Tasche.

Während ich die Flammen betrachte und das Schattenspiel auf der Terrasse, ihr ruhiges Gesicht und das Holz, das fertig liegt, ist es klar. So muss es sein. Ich kann gleich zu ihr, es ist Zeit.

Am Feuer sitzen, Maronen essen, nicht reden.

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