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Luciferdoosje

Luciferdoosje hört sich rund an, schön, ein wenig verwegen, aber dennoch süß, so ein Schüler von mir. Luciferdoosje. Ich gebe zu, es spricht sich um einiges netter aus als Streichholzschachtel. Ich lese weiter auf der Packung, die ich gerade gekauft habe. Das Zündholz in einem Winkel von max. 40° mit einer Aufwärtsbewegung nur ganz leicht über die Reibefläche führen. Bitte. Hier lass ich nichts anbrennen.

Es regnet schon seit Tagen und ich möchte den Kamin anmachen, mich in den 70-er Jahre Sessel setzen, lesen, was ein Schauspieler so über seine Kindheit zu erzählen hat, die Flammen beobachten und einen Rotwein dazu trinken.

Heeft u soms een lucifer voor me? Können Sie fragen, wenn Sie eine Zigarette im Mund haben und kein Feuer. Sofort haben Sie Freunde gefunden, es kommt eine abenteuerliche Lagerfeueratmosphäre auf, so als wären wir zusammen am Strand an einem kühlen Septemberabend.

Wir hätten Treibholz gesammelt und eine alte Zeitung gefunden, einige trockene Zweige, wir würden ein Feuer machen. Der Tag wäre sonnig gewesen, warm, mit einer stahlblauen Luft und einem Hauch von Herbst. Unruhige Vögel hätten ihre Kurven geschnitten, sie würden trainieren, sich sammeln und sich für die Reise in den Süden vorbereiten. Die Wärme des Tages hätte einer klaren, kalten Spätsommernacht platzgemacht.

Die Sterne würden im schwarzblauen Himmelszelt funkeln, der Sichelmond wäre dort still und klar über dem Horizont. Venus, der Abendstern, wäre leuchtend im Westen zu sehen, unfassbar klar. Am kalten Septembermorgen würde er im Osten am Himmel stehen, als Morgenstern. Wir würden aufwachen, eng umschlungen unter den Decken, voller Sand. Wir würden uns wundern, wie kalt die Luft und der Sand wären. Die Gräser in den Dünen würden dieses wunderbare Licht des frühen Morgens sanft reflektieren, sie würden sich alle in die gleiche Richtung verbeugen. Es würde nach Meer riechen, salzig, frisch, wir würden einfach aneinander gelehnt in den Decken gehüllt sitzenbleiben und übers graublaue Wasser schauen.

Lucifer wurde von manchen Kulturen gebraucht, um den Teufel zu benennen, aber das stimmt so nicht, meint Goethe, der den Teufel Mephistopheles nennt.

Lucifer ist er, der das Licht trägt. Es ist der römische Name für den Morgenstern Venus.

Feuer, Licht und Morgenstern. Und was ist mit dem Hamburger Gast? Wieso findet er 2020 nicht statt? Hat das Stipendium aufgehört, ist es erschöpft, hat der Gast 2019 sich nicht gut benommen? Ich war das. 2019 wurde ich eingeladen, vier Monate über die Stadt zu schreiben. Meine Geschichte “Unterm Eis” hat am heißesten Tag des Jahres den Wettbewerb gewonnen. Die Jury hat sich einfach nur abkühlen wollen.

Jetzt haben die Hauptveranstalter nach vielen Jahren mit der Organisation aufgehört, denn sie sind aus Hamburg weggezogen und lustwandeln selber durch andere Städte.

Einer aus dem Team hat mich mit der Frage, ob ich dieses Stipendium ab 2021 organisieren könnte, vor einigen Wochen angerufen. So einen Anruf bekommt man nicht oft, und am Telefon bespricht man solche Sachen nicht. Daher bin ich nach Hamburg gefahren, habe einige Sponsoren und Zeitungskünstler zu Café Stark in der Wohlwillstraße gerufen und wir haben die Rahmenbedingungen erfasst. Es war eine energievolle, begeisterte Runde.

Wir haben uns gegen einen Schnelldurchlauf für 2020 entschieden, denn es soll ja alles gut durchdacht sein. August 2021 geht es los. Die Wohnung für den Gast haben wir schon, die Schreiborte auch. Jetzt noch einige Sponsoren dazu gewinnen und Lesungen organisieren. Und den Namen der Aktion festlegen. Stadtschreiber Hamburg. Gut. Dann noch einen Titel für den Schreibwettbewerb. Ich kann natürlich jetzt noch nichts verraten.

Machen Sie mit! Behalten Sie diesen Wettbewerb im Auge, es gibt keinen schöneren. Inselschreiber Sylt gibt es nicht mehr. Stadsdichter Antwerpen schaffen Sie nur, wenn Sie relativ gutes Flämisch sprechen und mit einer Gänsefeder schreiben können. Außerdem wären Sie dann 2 Jahre lang stadsdichter, Sie sollten in der Zeit mindestens 12 Gedichte über die Stadt schreiben, das müssen Sie wissen.

Mein Mann sagt mir manchmal du kommst aber von Hölzchen auf Stöckchen. Ich liebe diesen Ausdruck. Ich denke gleich an Treibholz, Feuer und Streichhölzern. An dem Moment zwischen Reibung und Flamme. Dieser einzigartige Geruch kommt mir sofort in die Nase. Ich bin in Gedanken am Strand.

Streichholzschachtel heißt boîte d’allumettes auf Französisch. Caja de cerillas auf Spanisch. Scatole di fiammiferi auf Italienisch. Was stimmt mit dem deutschen Begriff nicht? Vielleicht ist es die unseriöse Bezeichnung Holz. Dieses dünne Teil kann man kein Holz nennen, man muss ja auf Holz klopfen können. Und Schachtel hört sich wie eine Beleidigung an. Die Frage ist nur, ob man für diese wunderbare Erfindung eine bessere Bezeichnung finden kann. Wären Sie mit einer Streichholzschachtel im Mittelalter in den Städten unterwegs, Sie wären der König. So einfach Feuer machen. So mühelos für Wärme, Licht und Frieden sorgen.

Ich sitze vorm Kamin, neben mir liegt ein Buch auf dem Boden, Faust. Eins meiner Kinder liest das gerade für die Schule. Ich lese einige Zeilen und denke, wie sollen Jugendliche das verstehen? Statt es einfach als Pflichtlektüre auszuteilen, sollte man einen Poetry Slam Wettbewerb darüber organisieren. Oder jede Woche einen kurzen Abschnitt lesen und verstehen. Häppchenweise. Gibt es dazu schon eine App? Also appchenweise Goethe.

Sein Wunsch, neben seinem Weggefährten Schiller die ewige Ruhe zu genießen, wurde nach seinem Tod erfüllt. Dort liegen sie friedlich nebeneinander, in gleich aussehenden Särgen in der Weimarer Fürstengruft. Goethe möchte sich eigentlich umdrehen jetzt, von wegen Poetry Slam und der App und so, und aber er hadert mit sich, hält endlose Selbstgespräche, fragt den Erdgeist und den Engel und entscheidet sich letztendlich dagegen, er seufzt und bleibt einfach ruhig liegen.

Hier kann nichts mehr schiefgehen, so denke ich, trinke den Wein und lese eine Seite Faust.

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