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Autorenbildkatelijne7

La grosse putin

Als das junge Paar das Haus gekauft hatte und renovieren wollte, fand es einen alten Zugwaggon im Keller, lese ich in der belgischen Zeitung. Sie waren ziemlich überrascht, als sie den abgesperrten Keller aufbrachen und plötzlich auf den Wagen stießen. Erschrocken klappten sie die Kellerlücke schnell wieder zu, rannten zum Nachbarhaus und klingelten. Eine alte Dame machte auf, schaute sie still an und flüsterte: Na, ihr seid so blass, bestimmt habt ihr den Zug gefunden. Sie kochte den beiden einen Tee und setzte sich hin, um die Geschichte zu erzählen.


Anfang des letzten Jahrhunderts zogen zwei Jugendliche durchs flämische Land. Als sie am Waldesrand einen verlassenen Waggon entdeckten, besetzten sie ihn und blieben darin wohnen. Es war ein schöner Wagen aus Holz, in einer tollen, ruhigen und sehr fruchtbaren Gegend. Das Paar bekam elf Kinder. Sitzplätze gab es genug, aber es war kein einfaches Leben damals.


Eine Generation später entscheid sich ein Erbe, eine Mauer um den Wagen zu ziehen und das Erdreich anzuhäufen, so dass der Raum ein Keller wurde, ein Teil des Fundaments, auf dem ein Haus entstehen sollte. Da es unsichere Zeiten waren, sorgte man dafür, dass immer noch die Möglichkeit blieb, durch ein Kellerfenster in den Zugwaggon zu gelangen. Wir Kinder des Dorfes, so die alte Nachbarin, wussten: Wenn es gefährlich würde, sollten wir zu dem Haus rennen, das Kellerfenster öffnen und uns in den Zug fallen lassen. Es war ja Krieg.


Ich bin bei meinen Eltern zu Besuch. Sie wohnen in einer ländlichen Umgebung auf 20.000 Quadratmetern, jetzt haben sie sich entschieden, alles zu verkaufen. Das Haus ist zu groß, der Garten bedeutet unfassbar viel Arbeit, sie sind über siebzig. Es ist ein Haus an einem Südhang, mit Wiesen und einem Wald, einem Gemüsegarten, Hecken und verwilderten Ecken. Es gibt viele Rückzugsorte für Tiere. Es gibt Insektenhotels, Blumenwiesen, Schmetterlingsbüsche, Feuchtbiotope und ein mittelgroßes Stück Rasen, unter dem in vier Metern Tiefe ein alter Öltank in der Größe eines Zugwaggons liegt.


Er stammt aus den wilden Achtzigern, als es in Antwerpen öfter mal geschah, dass solche Teile aus dem Hafen einfach so herumlagen. Irgendwann wurde er eingegraben, weil der Abtransport zu umständlich war.


Der Kran wiegt 17 Tonnen.

Langsam arbeitet er sich auf Raupenketten über das Kopfsteinpflaster der Einfahrt, er reißt links und rechts Teile der Buchenhecke aus, die Schneeglöckchen darunter lehnen sich erschrocken zurück. Die Krokusse klappen schnell ihre Blüten zu. Der Stacheldraht der Wiese wird aufgeschnitten, die Raupe gräbt sich saftig und satt über das feuchte Wintergras. Mein Bruder, der diese Maschine mitgebracht hat, braucht einen ganzen Tag, um das Loch zu graben, bis er den alten Tank gefunden hat. Er braucht einen weiteren Tag, um ihn herauszuheben und mit einer Spezialschere in Teile zu zerschneiden. Es handelt sich um Siemens-Stahl, 6 mm dick. In verschiedenen Fuhren wird alles zum Schrotthändler gefahren, der sein Glück kaum fassen kann. Putin, ruft er aus, la grosse putin!!! (fette Hure – Anm. d. Übers.).

Dann wird das Loch mit Muttererde wieder aufgefüllt, und schon sieht es wie ein frisch angelegter Garten aus.


Der faule Zahn wurde endlich gezogen, sagt meine Mutter erschöpft. Fast eine Woche lang haben sie für die Entsorgungsaktion gebraucht. Am Anfang hatte die Sonne noch geschienen, dann gab es Sturm und Regen, Hagel und Schlamm. Aber jetzt wächst dort wieder das Gras, die Blumen, die Büsche. Man sieht die Spuren der Raupe noch auf der Wiese, die Hecke hat einige neue, dünne Pflanzen, die sich noch nicht ausgebreitet haben. Das Kopfsteinpflaster zeigt kaum Spurrillen, es wurde fachmännisch verlegt und kann bis zu 17 Tonnen tragen. Aber irgendwann reicht es.

Eine Asphaltstraße hätte das nicht überlebt, schüttelt mein Vater den Kopf. Ich erzähle ihm vom Hochwasser im letzten Sommer bei uns im Städtchen, als die Bäche plötzlich über die Ufer stiegen, der Marktplatz zwei Meter unter Wasser stand und der Rettungsdienst mit Schlauchbooten am Krankenhaus entlangfuhr, um die Patienten zu retten. Wie das Wasser am nächsten Tag sehr schnell wieder verschwand, man konnte sehen, wie es durch das Kopfsteinpflaster gluckernd wieder weggesaugt wurde, wie bei einer Badewanne, wenn man den Stopfen zieht.


Als Olaf Scholz mit viel Sicherheitsabstand neben Wladimir Putin stand und ruhig sagte, wir wissen beide, dass auch wir eines Tages nicht mehr sein werden, hatte er genau das Gleiche gemacht. Er hatte den Stopfen aus der Badewanne gezogen, das Wasser lief schnell ab, zurück blieb ein wütendes, um sich schlagendes Kind, das noch nicht ins Bett wollte.


Ich denke an die Leute in der Ukraine, die wieder Schutzräume im Keller brauchen, um sich in Sicherheit bringen zu können. An die Dörfer und Städte, die zerstört und verschwinden werden. An die Kinder, die in einem unmöglichen Krieg geboren werden.

La grosse putin, denke ich, la Grosse Putin.




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