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Autorenbildkatelijne7

Infinity

Die Wassertemperatur beträgt im Moment 6 Grad, so Florian, als ich ihn frage, ob man hier schwimmen kann. Geht doch. Loch Ness wird sogar im schottischen Sommer kaum wärmer, und wir haben erst Februar.

Ich gucke den See an. Er ist klar, und da es richtig schönes Wetter ist heute, königsblau. Er ist mehr als 200 m tief. Die Berge mit den Schneegipfeln spiegeln sich im glatten Wasser, so dass die Landschaft wie eine romantische Postkarte aussieht.

Wie kann es hier so still sein? Es ist, als ob das Wasser die Stille voller macht, also leerer.

Während ich mir überlege, ob die Stille eher voller oder leerer ist, wird sie plötzlich in Stücke gehackt, mit stumpfen, kurzen Schlägen. Die Rotorblätter eines Hubschraubers verteilen die Luftmasse gleichmäßig in kurzen, abgerundeten Teilen. Eine elegante Maschine kommt angeflogen, klein und wendig. Sie macht eine weite, schwungvolle Bewegung über den See und fliegt tiefer, setzt zum Landen an, die Luft vibriert.

Da ich auf einer Wiese oberhalb eines 5-Sterne-Boutique-Hotels sitze, gehe ich davon aus, dass neue Gäste ankommen. Sie werden ganz stilvoll durch die Luft geflogen, genießen vor der Landung das unheimlich schöne Bergpanorama. Aber auch wenn sie es sich wünschen würden, sind sie leider nicht die einzigen hier. Die Hotelgäste, die schon da sind, und die sich gerade instagramgerecht im Infinitypool entspannen wollen, sehen verstört in die Luft. Ihr Schwimmbecken hoch auf dem Berghang fließt optisch in den Vierwaldstättersee. Es dürfen jeweils nur maximal 6 Personen gleichzeitig schwimmen, sonst gelingen die Fotos nicht. Bis eben war es die perfekte Idylle und jetzt dieser hängt dieser Lärm in der Luft.

Die Handtücher auf den Liegen flattern leicht auf. Das Schwimmbecken bekommt kleine Wellen, der See in der Tiefe nicht. Vielleicht sollte man den Hubschrauber knipsen. Der Hiphopper, der auf dem Hotelrasen seine Saltos und Flicflacs übt, verliert durch die Luftbewegung den Hut. Dabei hatte er die ganze Zeit versucht, ihn während der Sprünge aufzubehalten. Die kahlen Bäume verbeugen sich gleichgültig und rascheln mit den trockenen Ästen.

Der Hubschrauber landet auf der Wiese neben mir, Gras und kleine Steinchen fliegen auf. Die Leute müssten jetzt aussteigen und den Berg noch herunterkraxeln. Vielleicht werden sie von einem Hotelcaddy abgeholt. Man kann ja nicht ständig Hubschrauber auf seiner Terrasse landen lassen, ich würde als Hotelinhaber auch meinen, ist ja alles schön und gut. Wenn Sie per Hubschrauber anreisen müssen, machen Sie das, aber bitte nicht auf der Terrasse landen.

Es steigt ein Mann in orangefarbener Warnweste aus, er trabt sportlich schnell den Berg hoch, in den Wald hinein. Er sieht eher nicht wie ein Hotelgast aus. Vielleicht ist die Maschine ein Rettungshubschrauber, und dort im Wald liegt ein Bergsteiger, der dringend Hilfe braucht. Gut, dass man im Notfall den Luftweg nehmen kann, der ist deutlich schneller. Die Ziegenwege über den Berg taugen nicht für den effektiven Hilfstransport, denn Ziegen kommen nicht auf die Idee, geradeaus zu gehen, den schnellsten Weg zum Krankenhaus runter ins Tal.

Meine Spekulationen hören plötzlich auf, als ich sehe, wie der Hubschrauber wieder aufsteigt und sich Richtung Wald bewegt, ein langes Seil mit einer Kralle herunterlässt und einige Sekunden später einen Baumstamm hochzieht. Er bringt den Baumstamm 150 m weiter auf einen Stapel und fliegt wieder zum Wald. Der Arbeiter in seiner orangefarbenen Weste befestigt die Stämme ans Seil, der Hubschrauberpilot manövriert sie unglaublich geschickt auf einen Stapel. Er bringt erst viel Schwung ins Seil, und wenn der Stamm zurückpendelt, bremst er ab und trifft genau die Stelle, wo er hin soll.

Als ich abends wieder zurückgewandert bin, von der Terrasse über den See gucke und die Sonne die Gipfel der Berge orangefarbig aufleuchten lässt, sagt Florian, dass es günstiger und schneller ist, Holz per Hubschrauber aus dem Wald zu holen. Ein Forstarbeiter hat ja einen Stundenlohn von 70 Franken.

Ich überlege, mich umzuschulen. Ich werde Forstarbeiter.

Draußen arbeiten, am See, in einer unfassbar schönen Landschaft, Hubschrauber fliegen, Bergflanken hochrennen. Mit Holz arbeiten. Gute Luft, herrlichen Holzgeruch, Sport, Natur pur. Nach getaner Arbeit müde und zufrieden vorm Feuer sitzen. Aber zuerst im Infinitypool entspannen. Oder lieber im richtigen See, der sich endlos schön zwischen den Bergen ausstreckt. Er ist einzigartig, geheimnisvoll, und dort sind auch nicht mehr als 6 Personen gleichzeitig drin.

Er behält übrigens nicht das ganze Jahr über seine 6 Grad wie in Schottland. Im Sommer soll das Wasser auch mal 18 Grad haben.

Geht doch.

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