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Flying P

Es ist Donnerstag 9:30 und im Café Paris formt sich die erste Schlange, alle hätten gerne Frühstück. Petit déjeuner. Es ist nicht so, dass das der einzige Ort in der Innenstadt ist, wo man ein gutes Frühstück bekommt, aber ich kenne nicht viele Établissements, in denen man sich so willkommen fühlt. Man geht hinein. Wartet kurz. Man wird abgeholt und an einen Tisch begleitet. Der Mantel wird aufgehängt, der erste Kaffee ist sofort da. Die Zeitungen liegen aus. Man wird freundlich begrüßt.

Finden Sie das altmodisch? Ich nicht, ich finde das gut. Ich liebe es, wenn man sich um mich kümmert, nach mir guckt, mir einen Kaffee bringt.

Aber es ist Donnerstag und heute brauche ich kein Frühstück, ich stelle mich nicht in Schlangen. Heute werde ich meiner Tochter einen Paternosteraufzug zeigen. Wenn man Paternoster fahren will, muss man sich zügig entscheiden, man darf nicht verweilen. Die Maschine hält nicht an, nie! Die Arme gehören steif neben dem Körper, bei Ausstrecken gibt es Verletzungsgefahr. Außerdem ist es gut, wenn man ein Gefühl für Gleichgewicht hat.

Wir gehen zum Laeiszhof. Dort darf nur befugtes Personal den Paternoster gebrauchen, wie ein Schild mahnt. Nur, wenn man dafür geschult ist. Wir schauen zu, wie die Menschen an der einen Seite verschwinden und an der anderen Seite völlig verwandelt wieder zum Vorschein kommen. Sie kommen in die unglaublich schöne Eingangshalle an, springen mit einer geschickten Bewegung aus dem Fahrstuhl und laufen leichtfüßig davon.

Nach fünf Minuten reicht die Schulung, wir steigen ein und fahren hoch. Ich habe das Gefühl, dass das stattliche Gebäude die jugendstilischen Lippen etwas öffnet und keck die schmiedeeiserne florale Ornamenten in Form legt. Es heißt uns willkommen, ich fühle mich wie in einem antiken Theaterstück.

Wenn wir oben ankommen, lesen wir das Schild: Bitte Aussteigen!

Das ist der Moment. Hier passiert es. Hier muss man konzentriert bleiben und natürlich nicht aussteigen. Was befindet sich hier in der Dunkelheit am Endes des Paternosters? In diesem Teil des Hauses herrscht absolute Orientierungslosigkeit, vollkommene Finsternis, man erfährt nicht, ob es nach oben oder unten geht, nach links oder rechts, oder im Kreis herum. Es ist der Nullpunkt.

Ferdinand Laeisz war Hutmacher.

Seine Hüte waren ein gefragtes Exportmittel nach Südamerika, er bekam dafür etwas anderes zurück, es wurden Güter hin und her geschifft. Sein Sohn Carl fing an, eigene Schiffe bauen zu lassen.

Carls Frau hieß Sophie. Ich sehe meine Tochter an, sie heißt auch so. Sophies Wappentier war ein Pudel, man kann es als Skulptur oben auf dem Laeisz-Haus sehen, zwischen den Segelschiffen. Es hatte wohl etwas mit ihrer Frisur zu tun.

Später stieg auch der hochbegabte Enkel Carl Ferdinand in das Geschäft ein. Er starb schon früh, seine Pläne für einen Fünfmaster wurden erst nach seinem Tod umgesetzt, so entstand die “Preussen”. Technisch war sie damals der absolute Höhepunkt der Schifffahrt um Kap Hoorn. Allan Villars sagte dazu: “Die Preussen war nicht nur einfach schön, nicht nur ein Rausch aus Symmetrie und schwerelos erscheinender Eleganz, sie war mehr, sie war majestätisch wie eine Königin. Wer sie sah, der schwieg”.

1910 ist sie im blöden Ärmelkanal mit einem Dampfschiff zusammengestoßen und gesunken.

Die anderen Laeisz-Schiffe sind die berühmten Segler, die mit P anfangen, wie die Passat, die man in Lübeck noch besuchen kann und dort als Ausbildungszentrum genutzt wird. Sie sind bekannt geworden, weil sie sehr schnell das Kap Hoorn umsegeln konnten, sie werden “Flying P-Liner” genannt.

Der Windjammer Priwall hält den Rekord, in 5 Tage und 14 Stunden segelte sie um das Kap. Und der letzte Handelssegler ohne Hilfsmotor, der das Kap umrundete, war 1949 die Viermastbark Pamir, auch von Laeisz.

Carl Laeisz hat verfügt, eine Musikhalle zu bauen, Sophie erhöhte nach seinem Tod nochmal den Betrag, der gestiftet wurde.

Sie können jetzt dort hingehen, Musik lauschen. “There will be no intermission” heißt das Konzert von Amanda Palmer diese Woche. Vielleicht gehen sie dahin. Sie werden einen schönen Abend dort verbringen. Keine Unterbrechung. Vielleicht denken Sie an die unerschrockenen Seeleute, die mit den “Flying P-Linern” bis zum Ende der Welt segelten. Sie denken an den Sturm, den ewigen Regen. Jahrhundertelange Stürme. Vielleicht denken Sie kurz an schwimmende Eisberge, Nebelbänke, eine todgefährliche Westwinddrift.

Sie denken an die 10.000 Seeleute, die um das Kap Horn ihr Seemannsgrab fanden.

Ich umfahre mit Sophie den Endpunkt des Paternosters, wir kommen aus der absoluten Dunkelheit wieder heraus, fahren einige Stockwerke tiefer und steigen ohne zu zögern aus. Deae ex Machina.

Wir verlassen das wunderschöne Gebäude, und begleitet vom Nicolais’ Glockenspiel gehen wir zur Alster zurück. Über das Wasser streckt sich der schönste Altweibersommer. Wir setzen uns an der Lombardsbrücke in die Sonne, reden mit zwei Herren aus München, die in Stadtplänen und Büchern vertieft sind. Sie wundern sich, dass es hier so wenige Wirtschaftslokale gibt. Wo man draußen sitzen kann. Aber sonst wäre Hamburg eine ganz tolle Stadt, man muss sich nur darauf einlassen. Und das Wetter ist traumhaft, es ist wohl ein Märchen, dass es hier so oft regnet. Vor einiger Zeit, so erzählt mir einer von beiden, war er schon mal einige Tage hier, beruflich. Da hat er nur Innenseiten gesehen. Vom Hotel, vom Taxi, von der Firma. Das muss er wieder gutmachen, diesmal ist es anders. Sie haben sich durch die Stadt führen lassen, übers Land und übers Wasser, sind auf Türme geklettert und durch Tunneln spaziert. Sie sind mit dieser Stadt einverstanden.

Aber die Straßencafés, die wären in München doch einfacher zu finden. “Karo-Viertel” sagt Sophie. “Schanzenviertel” antworte ich.

“Café Paris”, sagen wir gleichzeitig, und lachen selber um so wenig Phantasie. Aber wenn man doch weiß, wo man Gäste hinschicken kann, soll man nicht zögern. Dort sind sie in guten Händen. Und ja, sie können sich auch mal hinten in die Reihe stellen, wir sind hier nicht beim Fußball.

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