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Du Guda Du!



Die ersten Tage in Hamburg.. Ich kann gar nicht sagen, was mir bisher am besten gefallen hat. Oder vielleicht ja doch. Ich hab ein Faible für Kiez. In München wohne ich in Sendling, einem ehemaligen Arbeiterstadtteil. Das ist zwar kein Kiez, aber den gibt’s in Bayern auch nicht. Meine Unterkunft liegt direkt im Karo-Viertel. Sofort habe ich mir eine Liste gemacht, wo ich überall Tee- oder Cola trinken möchte. Als ich über den Dom lief und mir einen Schoko-Apfel kaufte, fühlte ich mich so frei wie schon sehr lange nicht mehr. Das mit der Orientierung klappt auch ganz gut. Städte und ihr Nahverkehrssystem funktionieren meistens ziemlich gleich. Unzählige Male habe ich den Schienennetzplan Hamburgs bereits studiert. Witzig finde ich die Symbole. Besonders die kleine rote Sojus-Rakete hat es mir angetan, die hinter so mancher Station vermerkt ist. In Bayern wäre die sicher schwarz, soviel steht fest. Die U-Bahn, die ja eigentlich eine Hochbahn ist, verströmt nicht diese schauerliche Kälte. Während ich in München, in nicht Corona-Zeiten, die Luft der einfahrenden U-Bahn als Karies-Kontrolle für meine Zähne benutze (wenn es oben oder unten weh tut empfiehlt sich ein Zahnarztbesuch), ist es hier in den Stationen angenehm warm. Was mir auch sympathisch ist: Die Fahrzeit beim Bus wird mit Bindestrich angegeben. 12 - 16 Minuten. Man legt sich nicht fest. Wie oft war ich schon bitter enttäuscht, wenn ich meinen Anfahrtsweg korrekt kalkuliert hatte und das Verkehrschaos in meiner Heimatstadt mir einen Strich durch die Rechnung machte.


Heute habe ich wieder etwas Neues gelernt. Ich fuhr nach Harburg. Dort angekommen wollte ich zum Bus und nahm deshalb von der S-Bahn aus den Aufzug. Viele Menschen finden Aufzüge in Haltestellen eklig. Nicht so ich. Aus irgendeinem Grund schaue ich nie den Boden sondern immer den Aufzug-Himmel an. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie schön die Aufzug-Decken oft designed sind? Da gibt sich jemand richtig Mühe! Mir hilft der Blick an die Decke jedenfalls mich von dem oft nicht so einladenden Boden abzulenken. In Harburg wartete mit mir eine ältere Dame mit Hund und sehr lauter Darmperistaltik, Der Fahrstuhl brauchte etwas und wir kamen ins Gespräch. Ich bemerkte, dass sie ihren Hund immerzu auf Englisch schimpfte und auf Deutsch lobte. Wenn er etwas richtig machte, sagte sie lautstark: „Du Guda du!" Mir viel sofort meine Englischlehrerin in der 7. Klasse ein. Sie sagte mir mehrfach, dass mein gutes Englisch mir nichts bringen würde, da ich sonst ja ziemlich abloose. Mit Versagen kannte sie sich offenbar aus, verkaufte nebenbei Lebensversicherungen, die sie den Eltern sogar in den Sprechstunden versuchte anzudrehen. Die jedenfalls ging genau nach diesem Prinzip vor, nur dass sie immer in Deutsch tadelte und in blumigem Englisch lobte. Damals dachte ich, dass sich Deutsch einfach viel besser zum Schimpfen anbietet. Nach der Begegnung mit der Dame am Fahrstuhl in Harburg sehe ich das etwas differenzierter. Sie machte mich noch darauf aufmerksam, dass man über den S-Bot neuerdings via Internet sehen kann welche Haltestelle einen Aufzug hat, und ob dieser gerade auch funktionierte. Natürlich musste ich das gleich testen. Ich kommunizierte also mit dem S-Bot. Am Ende bedankte ich mich artig. Dann kam mir der Gedanke, ob das nicht ziemlich albern ist sich bei einer künstlichen Intelligenz zu bedanken? Egal ob Danke oder Flachpfeife, dem S-Bot ist´s doch Wurst oder veganer Brotaufstrich. Während ich im Geiste eine philosophische Debatte über das Für und Wider von künstlicher Intelligenz für einen wirklich langweiligen Tag vorbereitete, fuhr ich zurück zur S-Bahn nach Harburg. Die Dame mit dem nur auf Englisch gescholtenen Hund war weit und breit nicht zu sehen. Ich beschloss mir ein Franzbrötchen zu kaufen. Die Dinger sind echt lecker und langsam wird auch die Assoziation zu Franz Beckenbauer, die ich immer irgendwie automatisch hatte schwächer. Ich wartete geduldig, bis der Kunde vor mir seine Bestellung aufgab. „N Kaffee“, murmelte er, legte das Geld hin und zahlte wortlos. Als ich an der Reihe war sagte die Franzbrötchenhändlerin: „Nicht ma bidde oder danke, was die Leude heutzutage zuhause mitkriegen passt in ne Budatüte“.* In diesem Moment beschloss ich, egal ob KI oder echter Mensch ich werde immer weiter Danke sagen. Sicher ist sicher.

*Dialekt frei nach Gehör wiedergegeben






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