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die Elbphilharmonie

Ich studiere eine Seekarte, die vor mehr als 100 Jahren in London gedruckt wurde, am 22. Dezember 1902, und die ich auf dem Speicher meines Elternhauses gefunden habe. Sie heißt “Elbe River. Brunsbüttelkoog to Hamburg”. Und ein Ausschnitt heißt “Hamburg and Altona Habours”.

Ich wundere mich, wie sehr sich die Elbe geändert hat, dort liegt Estebrügge an der Este, Finkenwerder im Sumpf, Blankenese im Wald an der Mühle, ich sehe die Häfen in Hamburg: Mühlenwerder, Waltershofer, Kuhwerder, und diese in Harburg: Hafen I, II und III. Die Stadt liegt geschützt in ihren Wallanlagen, die in einen Grüngürtel umgewandelt wurden, es gibt einen Zoo. Das Museum ist eingezeichnet, diese Karte ist ein Schatz. Ich werde dafür sorgen, dass sie gedruckt wird, in ein Buch. Dann können Sie selber sehen, wie unfassbar schön sie ist. Was mache ich mit dem Original?

Wir können darüber reden.

The Time Ball at Kaiser höft is dropped at Noon, standard time. Was will dieser Text auf der Seekarte mir sagen? Kaiser Höft war ein Speichergebäude auf Kaiserspeicher A, mit einem Signalturm. In diesem Turm wurde 1876 ein Zeitball installiert, schwarz und 1,5 Meter im Durchmesser. Der Zeitball wurde von der Sternwarte am Millerntor über einen Kabel betrieben und fiel genau um 12:00 mittags 3 Meter runter. Eine halbe Stunde vorher wurde er auf halbe Höhe gehisst und 3 Minuten vor 12 auf ganze Höhe. Falls eine Störung vorlag, wurde ein kleinerer roter Ball gehisst. Der hing dann dort, um auf den Fehler hinzuweisen.

Als der Rundfunk die Zeitansage übernommen hatte, war der Zeitball nicht mehr nötig. Das Gebäude wurde 1963 gesprengt. Ein Symbol verschwand aus Hamburg, und lange Zeit fehlte der Willkommensgruß im Hafen. Die Sternwarte zog nach Bergedorf, dort können Sie eine Rekonstruktion des Zeitballs bewundern. Ein neuer Kaispeicher wurde gebaut, der sogenannten “Kakaobunker”. Aber die Logistik entwickelte sich sehr schnell, der Speicher wurde den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht.

Erst beschweren sich die Gabelstaplerfahrer und dann die Lagerpacker. Es ist alles zu eng, man kann sich kaum drehen oder wenden, und überhaupt, es gibt hier keinen Platz für nostalgische Gefühle, der Containertransport macht sich breit. Dort steht nun auf seiner wunderbar exponierten Stelle der Kaiserspeicher alleine, wird als Asservatenkammer gebraucht.

Aber es hängt ein Versprechen in der nebligen Luft. Ein neues Wahrzeichen soll auf der gleichen Stelle gebaut werden. Doris Gruber und Bernhard Popp aus Berlin zeichnen ein Modell für den damals von der Hansestadt angedachten MediaCityPort. Sie gewinnen die Ausschreibung nicht.

Im Wettbewerb schlagen 115 Entwürfe ein starres Hochhaus auf dem Kaispeicher-Gelände vor, also voll daneben.

Und nur ein einziger Entwurf tanzt. Im Wind, auf den Wellen. Doris Gruber und Bernhard Popp würden die Büros nicht in einen weiteren Turm daneben unterbringen, sondern oben auf das Lagerhaus drauf. Eine Krone aus Glas sollte der Speicher bekommen, statt im Schatten eines Hochhauses total abgewertet zu werden.

Die beiden Architekten aus Berlin haben mit ihrem einzigartigen Entwurf keinen Preis gewonnen, aber sie haben ihr Modell aus 2001 aufgehoben, es steht in ihrem Büro und sieht wie die Elphi aus.

Der Abriss des Kaispeichers wird genehmigt, aber zum Glück noch im letzten Moment gestoppt. Der MediaCity Port wird dann aber auch gar nicht gebaut, es finden sich nicht genügend Mieter für die Räume.

Wenn man die Augen öffnet, ein ehrliches Interesse daran hat, den Charakter der Stadt hervorzuheben, und sich wirklich mit der Lage beschäftigt, kommt man vielleicht schon auf die Idee, oben auf dem Kaiserspeicher zu bauen.

Aber dass in den Wellen der Elbe kein Bürogebäude sondern ein Musikhaus entstehen soll, dazu gehört die Großzügigkeit eines Visionärs. Eines Querdenkers, der für seine Stadt lebt, Musik liebt und seiner Leidenschaft folgt. Der Projektentwickler Alexander Gérard hat die zündende Idee eines Konzerthauses dort mitten im Hafen.

Mit seiner Frau Jana Marko reist er um die Welt, um einen aufkeimenden Plan wachsen zu lassen, sie besuchen überall Konzertsäle mit unerschöpflicher Begeisterung. Der Plan wird letztendlich von unseren Schweizer Architekten dann auch umgesetzt.

Auf den Fundamenten des Kaispeichers A würde, so beschließt der Hamburger Senat 2005, nicht der MediaCityPort, sondern ein Konzertgebäude entstehen. 2007 fängt man mit den Arbeiten an. Und ja, 10 Jahre später ist sie da, wild, wogend, unkonventionell. Endlich da. Sowohl vom Land als vom Wasser aus betrachtet majestätisch und souverän: die Elbphilharmonie.

Ich spaziere an einem stürmischen Winterabend hinein, möchte von der “Plaza” aus übers Wasser schauen. Europas längste Rolltreppe dauert ewig, sie streckt sich über 82 Meter aus. Der Wind bläst mich fast weg, mir ist kalt, ich muss mich bewegen, überlege auf der fahrenden Treppe hin und her zu rennen, mal bis unten, wieder hoch, wieder runter, bis ich oben ankomme. Aber das geht nicht, es stehen zu viele Gäste um mich herum und ich möchte keine Massenpanik auslösen. Nicht dort, nicht in der Elphi.

Was macht man, wenn man nicht so wie ich Gummistiefel sondern feine Schuhe mit hohen Absätzen trägt, weil man zum Konzert möchte und sich für seine Begleitung elegant angezogen hat? Wenn man sozusagen im Abendkleid über dieser Treppe schwebt. Ist das Gebäude nur für den Hochsommer konstruiert? Die Fahrt dauert genau 150 Sekunden, das kann man vielleicht gerade noch aushalten. Ich behaupte mal, Sie dürfen sich ruhig aneinander kuscheln hier. Hauptsache, Sie bleiben warm.

Vielleicht sollte man oben eine Stelle einrichten, wo Sie die Schuhe umtauschen können. Die Fellstiefel werden auf eine Heizung gestellt, und im Haus ziehen Sie die Ausgehschuhe an. Nach dem Konzertbesuch können Sie wieder Ihre warmen Stiefel anziehen und komfortabel durch den Hamburger Sturm zum Baumwall spazieren, wo Sie vom HVV sicher und schnell wieder abgeholt werden.

Ob eine Schuhheizung noch reinpassen würde auf Ebene 11? Dort ist die einzige Garderobe für den großen Saal, dort müssen Sie sowieso hin. Merken Sie sich das. Überlegen Sie sich vorher, ob Sie den Mantel behalten möchten, auf ihrem Schoß, oder ob Sie ihn abgeben, es ist ein weiter Weg. Es gibt keinen Garderobenzwang, so eine Mitarbeiterin. Aha. Wenn es das gäbe, Garderobenzwang, ich würde schreiend wieder aus dem Gebäude wegrennen, auf hohen Schuhen, egal. Ich würde auf der Rolltreppe nicht mehr links oder rechts gucken, nicht auf die 7.900 schimmernden Glaspailletten, nicht auf den sich elegant wölbenden Bogen. Meine Stimme würde durch die wunderbare Akustik überall in den Konzertsälen auf allen Sitzen gleich laut zu hören sein.

Ich laufe über die Plaza und kämpfe gegen den Wind. Wie immer spielt er verrückt, so bald er um ein hohes Gebäude weht. Einige Momente lang stehe ich im Sturm, ich sehe hohe Wellen und peitschenden Regen auf den wilden Gewässern, an der anderen Seite ist es windstill, sogar etwas wärmer und ruhig, ich betrachte die Lichter der Stadt und die Spiegelungen im glatten Wasser. Ich denke an meine Seekarte, an die Arbeit, die es gekostet haben muss, eine so komplizierte Umgebung aufzuzeichnen, mit Angaben über Tiefen, Sandbänke, Ebbe, Flut. Vier Lichtsignale am Tag. Ein schwarzer Ball, der die Mittagszeit angibt. Ein roter Ball, kleiner, um auf einen Fehler bei der Zeitangabe hinzuweisen.

Kein Fehler hier, so denke ich, und betrachte meine roten Gummistiefel.

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