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Am helllichten Tag

Der Morgen ist frisch und schön im Schanzenviertel. Die Leute, die an der Roten Flora wohnen sind schon aufgestanden, die Betten sind gemacht. Ich gehe weiter und sehe die Grüne Flora. Draußen stehen Holzkisten mit vielen Blumen in allen Farben, sie leuchten auf dem Bürgersteig. Innen sieht es wie ein verwunschener Garten aus, auf dem Boden liegen Holzbretter in einem weißem Kiesbett. Überall gibt es grüne Pflanzen und blühende Blumen, die Blumenmädchen sind sympathisch und fröhlich. Wer wäre das nicht, in diesem Garten auf dem Schulterblatt?

Später gehe ich in einen Käseladen hinein, den letzten, den es in Hamburg gibt. Bruno Blockus hat diesen Laden schon 30 Jahre hier. Er zeigt auf die gegenüberliegende Straßenseite. “Der Bäcker dort ist schon 85 Jahre da und der Teeladen daneben schon 50 Jahre. Und das Schreibwarengeschäft. Viele Läden sind schon sehr lange hier, man kennt sich, es ist eine gute Nachbarschaft”. Wo das ursprüngliche Schulterblatt war, das Café für die Walfänger, das als Aushängeschild ein Schulterblatt vom Wal hatte, weiß er nicht. Aber das finde ich noch raus.

Bei Deathpresso suche ich Sarah. Sie ist hinten in der Rösterei und verpackt den frisch gerösteten Kaffee. Sie lernt das Rösten mit der alten Maschine, arbeitet hier schon jahrelang, sie liebt den Laden.

Ihre Mutter hat gerade alte Kaffeesäcke handgewaschen und zu Taschen genäht. Schulterblatttaschen und Rücksäcke. Ich dachte immer, Jute piekst und ist hart, aber diese Taschen sind wunderbar weich und es ist schön, sie anzufassen. Ich frage Sarah, ob sie etwas zu Gastfreundschaft erzählen möchte. Sie meint, sie freut sich über alle Gäste, aber wenn sie schon mal den homeoffice-Platz ins Café verlegen, sollten sie auch etwas trinken. Das verstehe ich, Freundschaft funktioniert von beiden Seiten, der Gast soll sich zwar zuhause fühlen, aber da eine Gaststätte nun mal von Einnahmen lebt und kein Co-working-space ist, finde ich, dass man ruhig viel essen und trinken kann, Leute gucken, Geschichten erzählen, Freunde treffen, Trinkgeld geben.

Denn überlegen Sie doch mal, wie der Kaffee zuhause schmeckt, wie oft Sie um ihn bitten müssen und wie Sie ihn serviert bekommen. Und vor allem, was Sie dafür tun müssen.

Zeit für einen Ausflug nach Altona. Da muss man erst mal wissen, wo man hingeht. Das Zeise-Haus, ein beeindruckendes Industriegebäude. Dort ist ein kleines Kino, ein Filmemachercafé und einige Läden.

Eine Kunstgalerie kann man dort besuchen, mit schönen Möbeln aus Holz, aus Leder und Stahl. Es ist ein Ableger der Panker-Galerie, oben an der Küste. Die Galeristin zeigt die Arbeiten, freut sich über den Besuch, findet es schade, dass viele Leute sich nicht hineintrauen. Also hier ein Tipp: einfach mal reingehen (und ja, einen Kaffee bekommen Sie auch).

Weiter gibt es noch die goldene Gans, statt eine Gans hängt ein großes goldenes Ei im Schaufenster. Die Idee ist gut. Wer war zuerst da? Moritz lacht und deckt die Tische ein, man kann hier frühstücken, mittags Kuchen essen und abends wird frisch gekocht. Weitere Insidertips und angesagte Orte findet man im Internet. Aber nicht weiter sagen, es sind ja Geheimtips.

Ich fahre mit der S-Bahn wieder in die Schanze und habe zum ersten Mal eine Fahrkartenkontrolle. Vier breitgeschulterte, schmalhüftige Männer stellen sich mir in den Weg. Ich suche meine Fahrkarte, ich habe ja ein Abo. Aber wo. Die Handtasche sieht eigentlich gar nicht so groß aus, aber unzählige Sachen liegen im Weg. Wieso rutscht eine so wichtige Karte immer bis in die unendlichen Tiefen? Es zeigte sich schon eine leichte Verzweiflung in den Augen der Kontrolleure. Als ich dann aber die richtige Karte hervorfischte lachten sie erleichtert und wünschten mir noch einen schönen Tag. Was für Typen. Wieso gibt es so eine Kontrolle nicht häufiger?

Ich gehe zu meiner Wohnung, trinke noch etwas bei Tuan. Er sieht wie ein Vietnamese aus, kommt aus Süddeutschland und sagt Servus.

Wenn ich diesen Bericht so lese, ist es, als ob ich die ganzen Zeit von Café zu Café crawle. Am helllichten Tag. Nun ja, es gibt solche Tage.

Man darf das Kaffee-trinken-gehen nicht unterschätzen. Man lernt interessante Leute kennen. Man ist nicht in seiner eigenen Umgebung, wo man alles unter Kontrolle hat, wo man bestimmen kann und die Verantwortung trägt. Man ist frei, kann sich einfach gehen lassen, rein- und rausgehen, wann man möchte und mit wem man möchte. Sich auf die neue Umgebung einlassen. Sich anpassen. ich für neue Energie öffnen. Entspannen und eine bessere Version von sich selbst sein.

Wenn die Leute in ihren Häusern sitzen und dort alleine Kaffee trinken, wird die Stadt steifer. Die Bewohner kennen sich nicht, grüßen sich nicht. Sie finden einander suspekt und senken den Blick. Sie fühlen sich einsam. Der Auftrag für die Kaffeehäuser ist: einen Ort schaffen, wo wir auf andere Gedanken kommen, uns treffen und austauschen, wo wir wachsen können und die Ideen Form annehmen. Wo wir uns selbst an andere Leute spiegeln können, unsere Argumente schärfen und eine gesunde Relativität der Dinge entwickeln. Wo wir großzügiger und spitzfindiger werden.

Sind Sie Teetrinker? Das macht aber nichts. Ich setze mich auch gerne mit Ihnen und einer Tasse Tee zusammen.

Und ich hätte gerne eine schöne Geschichte dazu.

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