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Autorenbildkatelijne7

Altona und Feldstraße

Ich laufe immer noch in Aachen über die Vennbahn im strömenden Regen und sehe eine Gruppe Männer, komplett eingepackt, auf Profirädern. Sie stehen zusammen und überlegen sich, in welche Richtung es weitergeht. Ich würde sagen, es gibt nur 2 Richtungen, weiterfahren oder umkehren, aber ich finde, das sollten sie selber herausfinden. Sie grüßen mich alle 5 fröhlich, rotbäckig. Sie sehen verwegen aus, mit Regen in den Haaren und leuchtend in der Dämmerung. Ich grüße zurück, renne weiter, auf zur nächsten Station meines gedanklichenTagestickets in Hamburg. Die S-Bahn zurück fährt durch Harburg, Harburg Rathaus. Wilhemsburg, Veddel, Hammerbrook.

Ich finde mich damit ab, dass sich die Strecke der S-Bahn im Kopf nicht wie ein korrektes Verkehrsnetz darstellt, sondern dass ich irgendwo auftauchen werde. Altona.

In Altona wurden die Schiffsladungen mitten des 19. Jahrhunderts von Pferden über Schienen den Hang hochgezogen, von der Elbe bis zum Altonaer Balkon. Auch ein Seilzug wurde eingesetzt, um die Frachten über eine schiefe Ebene vom Wasser hochzuziehen. Diebsteich heißt hier ein Bahnhof, wobei mir keiner sagen kann, ob der Name daher kommt, dass hier eine Hinrichtungsstelle war, die Diebe wurden danach einfach in den Teich geworfen, oder ob es vom „tiefen Teich“ kommt. Ein wichtiger Unterschied, so finde ich, an einem stillen und tiefen Wasser könnte ich wohnen, sogar einen Bahnhof errichten, dort soll ja der neue Fern- und Autobahnhof entstehen. Im anderen Fall hätte ich Bedenken.

Vom tiefen und stillen Wasser ist in Altona nicht viel zu sehen. Es gab dort die erste Deutsche Fußgängerzone in den 60-er Jahren. Die großen Gebäude aus Waschbeton wurden aber im Laufe der Zeit wieder verlassen. Es war nicht mehr viel los, bis vor kurzen ein schwedisches Möbelhaus sich mitten in der Stadt niederließ. Es hat unglaublich viele Menschen angezogen, und so kommen gerade immer mehr Geschäfte und Cafés dazu. Bekannte Ketten, aber auch originelle Läden, zum Beispiel zum Frühstück, bitte reservieren: www.klippkroog.de , Frühstück am Wochenende bis 16:00h. Auf der Abendkarte jetzt im November steht: Rosenkohltarte.

Für den Fall, dass Sie das nachkochen wollen: So einfach geht das nicht. Als Belgierin möchte ich vorsichtig darauf hinweisen, dass unser berühmtestes Gemüse „choux de Bruxelles“, also Rosenkohl, der reine Rosenkohl, widerspenstig ist. Einfach in einen Topf geben, kochen und den Geruch durchs Treppenhaus ziehen lassen ist nicht, dafür können Sie eine Strafanzeige wegen Geruchsbelästigung bekommen. Außerdem wird kein Mensch das Ergebnis essen wollen. Kinder werden es zu ihrem persönlichen Feindgemüse erklären und Sie selber werden nie wieder gefragt werden, etwas fürs Büffet mitzubringen. Rosenkohl ist ein tolles Wintergemüse voller Vitamine, das unser Respekt verdient. Man muss nur wissen, wie man ihn zubereitet.

Kaufen Sie nur Bio-Rosenkohl, um den schlimmsten Gestank, der ja hauptsächlich von zuviel Dünger kommt, zu vermeiden. Kaufen Sie Gemüse, das frisch, jung und grün ist. Wenn die Röschen schon labberig und gelblich sind, können Sie den Schafen der Marschlande damit ein Gefallen tun, sie lieben es. Kochen Sie es nicht zu lange, sondern kurz und kräftig, oder umsichtig in Dampf, es soll seine Form und Farbe behalten. Und, hier ist der Geheimtip: tun Sie ordentlich Senf dazu. So bekommen Sie Charakter.

Ein weiteres berühmtes Gemüse aus Brüssel ist der Chicorée. Aha. Früher war er richtig bitter, wir konnten ihn als Kinder kaum runterkriegen. Roh mit Mandarinenstückchen gemischt ging es so gerade, aber gekocht haben wir ihn gehasst. Heutzutage ist er viel weniger bitter, er schmeckt eigentlich nach gar nichts. Die neuen Gemüsezüchtungen sind keine Herausforderung mehr.

Chicorée ist der Sproß aus der Zichorienwurzel. Die Zichorie ist die gemeine Wegwarte.

Diese Pflanze sollte man kennen. Sie besitzt unglaubliche Zauberkräfte, vor allem im Liebeszauber, auch wenn sie sich nur morgens von 6 bis 11 Uhr öffnet. Das reicht. Sie wird zur Heilpflanze 2020 gekürt.

Die Wurzel wird als Kaffee-Ersatz getrocknet, geröstet und gemahlen. Man gibt ihn auch zum gemahlenen Bohnenkaffee in den Filter, um eine dunklere Farbe und einen volleren Geschmack zu bekommen. Ich weiß aber nicht, ob inzwischen aus der Wurzel auch alle Bitterstoffe rausgezüchtet wurden. Das wäre schade, denn man kann keinen Ersatzkaffee aus geschmacklosen Wurzeln brauen, dann kann man genau so gut Holz nehmen.

Im Botanischen Garten in Brüssel hat 1846 der Chefgartenbauer zum ersten Mal die Chicoréesprossen gezogen. Das kann man dort auf einer Tafel nachlesen. Aber da es damals noch keine transparente Kommunikation gab, haben 1870 belgische Bauern auch zum ersten Mal diese Sprossen als Gemüse entdeckt, und zwar versehentlich. Sie hatten einen großen Vorrat der Wurzeln eingegraben, denn die Ernte war sehr reich gewesen, und haben dann die bleiche zarte Sprossen geerntet und gegessen. Sie sind weich und weiß, da sie im Dunkeln gewachsen sind.

Bitterstoffe sind gesund, wie junger Löwenzahn im Frühling, sie stimulieren und schützen die Leber, reinigen die Gallenblase. Mariendistel. Tausendgüldenkraut. Pilze. Da müssen Sie aufpassen, falls Sie einen Pilz im Wald nicht identifizieren können, und Sie wollen wissen, ob er essbar ist, beißen Sie hinein. Schmeckt er bitter, ist er giftig, Sie sollten ihn schnell wieder ausspucken. Es sei denn, es handelt sich um den gemeinen Gallenröhrling, der ist nicht giftig. Aber essen kann man ihn trotzdem nicht, weil er so abartig schmeckt. Er ist die einzige Art seiner Gattung.

Das können einige Mykologen nicht ertragen, sie meinen, er gehört zusammen mit dem auch einzigartigen Düsteren Röhrling ins gleiche Gattungskörbchen. Aber da möchte ich mich nicht einmischen, ich will nur sagen, man sollte bittere Pilze besser nicht essen.

Vielleicht bekommen Sie Weihnachten ein Set geschenkt, um Magic Mushrooms zu züchten. Ich zitiere: Große Hüte werden klein, gerade Stiele biegen sich, dicke Stiele werden dünn und die Farbe verändert sich von hellgelb zu dunkelbraun. Seien Sie auf Überraschungen gefasst. Der Trip kann tief, bunt, schnell und sexuell sein. Genau das Richtige zu Weihnachten, finde ich, Überraschungen! Bunt, schnell und sexuell. Tief.

Ob man die Wunderpilze auch rauchen kann? Ich glaube, man kann alles rauchen, aber es bringt nichts, man kann es nicht dosieren, durch die Hitze mischen sich allerhand andere Stoffe hinein, es ist pure Verschwendung des Wunderpilzes. Eine Beleidigung sozusagen.

Was man auch machen kann, ist Kaffee aus Eicheln kochen, so denke ich, während ich vom Weg abkomme und ein kleines Stück durch ein Wäldchen neben der Vennbahn laufe. Es liegen noch viele Eicheln auf dem Boden. Früher hat man die gesammelt, als Schweinefutter oder halt um Kaffee zu kochen. Das Problem bei dieser Frucht ist, man muss nicht nur die äußere Schale entfernen, sondern auch das Häutchen, dass dünn und nass auf der Frucht klebt, und das ist schwierig. Erstens lässt es sich kaum lösen, und zweitens muss man sich beeilen, denn die Frucht verfärbt sich schnell. Das Häutchen ist extrem bitter. Es gibt verschiedene Vorschläge im Internet, wie man denn am Besten die Eicheln knackt, pellt oder schält, hackt, (manche Verwegene schwören darauf, sie im Mörser zu zerstoßen, etwas, was ich mir nur schwer vorstellen kann, da sie so hart sind), und röstet. Wie gesagt, Sie können das alles nachlesen. Es heißt stundenlange, wenn nicht tagelange Arbeit, aber was tut man nicht alles für den perfekten Eichelkaffee.

Ich laufe am Spielplatz im Wald vorbei, wo ich bei einem meiner letzten Laufrunden eine Gruppe Kindergartenkinder getroffen habe. Vorneweg eine Erzieherin, die Kinder alle zu zweit, händchenhaltend, in Warnwesten, mit Mützen auf, in einer gerade Linie. Zum Schluss der Erzieher mit Tattoos, er kommt mir irgendwie bekannt vor. Schön, wenn sie im Wald spazieren gehen, es ist ein sonniger Herbsttag, keine Gefahr, nass und krank zu werden. Eins der Kinder guckt mich ernst an, als ich angelaufen komme und verwarnt mich streng, „hier darf man nicht laufen!“.

Wo sind wir denn jetzt, wenn Kindergartenkinder beim Waldspielplatz glauben, hier darf man nicht laufen. Wo sind dein Helm und Helikopter du Schlumpf? Wie soll ein Kind so jemals ein Abenteuer erleben?

Für Abenteuer steige ich in der Feldstraße aus. Eine Erinnerung aus 1988 kommt hoch, St. Pauli-Willi hat einige Flaschen Astra dabei und gibt mir eine. Was dagegen? Wir stoßen auf den Verein an und trinken, ich bin fast 17. Jetzt ist es 31 Jahre später, er ist 2002 gestorben, und schaut sich aus dem Pauli-Himmel die Spiele an.

Ich überlege, in die Marktstraße zu gehen, in ein paar kleine Läden hinein, Kunst, Platten. Aber ich entscheide mich, erst Sabine zu besuchen, in der kleinen Pause. Der Weg dahin ist eine meiner Lieblingsstrecken, ich kann nicht sagen warum. Grüner Jäger, Wohlwillstraße. Kleine Pause. Café Stark, Miller, Mimosa. Möwe Sturzflug.

Prost Willi.

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