In Blankenese gibt es eine Kaffeerösterei, Carroux. Das Lokal riecht nach frisch gerösteten Kaffeebohnen, aber dafür bin ich diesmal nicht gekommen. Ich muss kurz aufwärmen, trinke einen Hafermilch-Cappuccino und denke, nicht schlecht. Aber dann geht es weiter, wieder raus in die kalte Novemberluft, ich wollte eigentlich Fotos machen.
Natürlich macht hier jeder Fotos, es ist nicht wirklich originell, es laufen hier Leute mit Profi-Equipment herum, sie stellen sich an den Straßenecken und fotografieren. Es gibt hier tolle Motive, phantastische Häuser in den Hang gebaut, verwinkelte Steintreppen, feuerrote Ahornbüsche, sonnengelbe Buchen, tanzende Blätter auf tausenden Stufen, Parks, Gärten, auf allen Höhen. Und immer wieder zwischen den Häusern gibt es den befreienden Blick auf die silbrig schimmernde Elbe. Alle Architekturperioden sind hier vertreten, man kann richtige Studien machen. Es gibt hier einen Strand, eine Strandpromenade und einen alten Leuchtturm, der immer noch funktioniert. Im Rücken wird er von einem neuen Leuchtturm verstärkt, die beiden geben ihre Signale gleichzeitig. Es gibt hier das Schiffswrack Uwe.
Die Leute, die hier durch die Straßen stapfen scheinen fit zu sein, auch die älteren, sie sind fidel und total durchtrainiert. Kein Wunder, so bald man die Haustür verlässt, steht man auf einer Treppe. Es sieht hier wie ein Fischerdorf südlich der Pyrenäen aus.
Aber es ist Blankenese, es ist windig und sehr kalt unten an der Elbe. Dort stehe ich und warte auf die Fähre, eine Dame kommt aus dem Ponton Op ‘n Bulln und erzählt mir, wie sie gerade Lumumba mit Sahnehaube getrunken hat. “Kennen Sie das? Es heißt auch Tote Tante”. Jetzt muss sie selber sehr lachen. ”Nein, Sie sind viel zu jung, das haben wir in den 60-er Jahren getrunken”. Sie sagt, viel besser ist es, einen Schuss Kakao in den Rum zu tun als umgekehrt, vor allem bei diesem Wetter, und das hätten sie hier gut hingekriegt, sie sei jetzt richtig durchgewärmt. So muss das sein, und weiter läuft sie.
Sie hat einen roten Mantel an. Ich sehe ihm nach, und wenn ich schon mitten auf der Elbe bin, auf der Fähre, sehe ich immer noch den Mantel, halbwegs auf dem Hang, auf einer der Treppen, wie er dort tanzt, unter einem flammenden Ahorn, der die gleiche Farbe hat. Einige rote Fragmente lösen sich und wirbeln um die Tänzerin herum, wirbeln hoch in die Luft und fangen die Sonnenstrahlen ein, die jetzt ganz kurz durch die Wolkendecke brechen.
Die Fähre bringt mich zu den Landungsbrücken, und kurz danach bin ich wieder in den Bücherhallen, ich finde es schön, nachmittags hinzugehen, denn wenn es draußen dunkel wird, kann man sich richtig fallen lassen. Man kann reinkommen, in die Garderobe gehen, den Mantel und die Stiefel ausziehen (das habe ich beobachtet, das machen die Besucher hier) und in Pulli auf Kuschelsocken zu den Büchern gehen. Es gibt schöne Sitzecken, richtige Arbeitsplätze, Gruppenarbeitsplätze, es gibt ein Klavier zum Üben, bitte mit Kopfhörern. Und vor allem, und das ist die Stärke dieses Vereins, ich treffe auf nette, hilfsbereite Menschen, die seltene Bücher finden, die sich in den Tiefen des Bücherhauses auskennen, die scheinbar mühelos das gewünschte Buch aus einer Reihe herausziehen, als hätten sie gewusst, dass ich genau dieses Buch genau jetzt brauche, Röhrenverstärker, Nachbauten und Projekte, und sie geben es mir mit einem Lächeln.
Eine Frau in einem ahornroten Mantel läuft an meinem Arbeitstisch vorbei, ich spreche sie nicht an, sie kennt die Vorgeschichte nicht.
November: ein gutes Buch, 400.000 zur Auswahl. Eine Kunsthalle ganz nah und in allen Windrichtungen die großen und kleinen Bühnen, die Welt.
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